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Wirtschaft (Print WAMS)

Wie Japan vom Energieverschwender zum größten Energiesparer wurde

Chefökonomin
Die erste Ölkrise leitete ein radikales Umdenken ein. Das Land begann, Energie effizienter zu nutzen - und massiv in die Atomkraft einzusteigen

* Die Rohstoffarmut macht Japan wirtschaftlich anfällig. Daher kann es kurzfristig gar nicht aus der Atomkraft aussteigen

apan hat als einziges Land der Welt die verheerende Wirkung von Atombomben durchlitten. Der Inselstaat liegt zudem auf dem pazifischen Feuerring mit seinen extremen Erdbeben- und Tsunami-Gefahren. Trotzdem verfolgen Regierung und Wirtschaft, akzeptiert von der Bevölkerung, eines der ambitioniertesten Atomenergieprogramme.

Die Erklärung dafür ist einfach: Japan ist geprägt von einem nationalen Trauma, das das Land zwischen Hiroshima und Fukushima erlebte - die erste Ölkrise 1973/74. Es war der 17. Oktober 1973, als die Organisation Erdöl produzierender Länder (Opec) den Ölhahn kurzerhand zudrehte. Der Preis für den Schmierstoff der Weltwirtschaft verdoppelte sich binnen eines Tages und stieg in den Folgemonaten scheinbar unaufhörlich weiter. Die Ölkrise traf alle Industrieländer - aber keines so hart wie Japan. Die Energieversorgung in dem Inselstaat brach zeitweilig zusammen, Unternehmen mussten die Produktion unterbrechen. Die Menschen reagierten panikartig mit Hamsterkäufen. Die Inflation schnellte auf über 25 Prozent hoch. Nippon rutschte in die erste schwere Rezession seit Kriegsende und brauchte Jahre, um sich zu erholen.

Schlagartig wurde den Japanern ihre Verwundbarkeit vor Augen geführt. Das Wort vom "Wirtschaftsriesen auf tönernen Füßen" machte die Runde. Das bis dahin so erfolgsverwöhnte Land verfügt über so gut wie keine heimischen Energieträger. Der jahrelange Boom basierte auf billigem Öl, denn Japans Industrie produzierte energieintensiver als die Konkurrenz in Europa und anderswo. Nicht die USA, sondern die Japaner waren Anfang der 70er-Jahre die größten Energieverschwender der Welt.

Sich unabhängig von der Ölzufuhr aus der politisch instabilen Golfregion zu machen, wurde in den Folgejahren für Wirtschaft und Regierung zur strategischen Priorität. Das mächtige Wirtschaftsministerium Miti entwarf die Blaupause für das energiepolitische Sicherheitskonzept. Die Industrie musste "freiwillige Selbstverpflichtungen" zum drastischen Energiesparen akzeptieren. Hektisch suchten Japaner zudem nach Alternativen zum Öl: Gas- und Kohlekraftwerke wurden gebaut, langfristige Lieferverträge mit Ländern wie China, Russland oder Indonesien geschlossen und massive Förderprogramme für alternative Energiequellen wie Wasserkraft- oder Solarenergie aufgelegt.

Und die Japaner stiegen damals mit rasantem Tempo in die Atomkraft ein. 1966 war der erste Meiler ans Netz gegangen. Heute stehen in Japan 54 Atomkraftwerke - nur in den USA und in Frankreich sind es noch mehr. Ein Drittel ihres Stromverbrauchs decken die Japaner mit Atomenergie ab. Und während in den USA oder Deutschland schon seit Jahrzehnten keine neuen Meiler mehr ans Netz gingen, nahm die asiatische Industriemacht seit 2005 noch vier neue Atomkraftwerke in Betrieb.

Der Aufbau sollte in den kommenden Jahren mit voller Kraft weitergehen, so sieht es die bisherige Planung der Regierung vor. Im Jahr 2030 sollte die Hälfte der Stromversorgung aus Atomenergie erfolgen. Auch die Betreiberfirma von Fukushima Tepco - an der die Stadt Tokio beteiligt ist - hat entsprechende Wachstumspläne. Diesen Ausbau begründeten die Japaner auch mit den Klimaschutzzielen. Nach dem GAU rechnet der Japan-Experte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Kaus-Jürgen Gern, nun jedoch nicht mehr damit, dass das Land auf Dauer an der Atomenergie festhalten wird. "Kurzfristig aber kann Japan gar nicht aussteigen, dazu ist die Abhängigkeit vom Atomstrom zu groß", sagt der Ökonom. Dies zeigten auch die großen Stromengpässe infolge der Erdbebenkatastrophe.

Das Desaster von Fukushima hat somit in Japan eine neue Energiekrise ausgelöst. Gern prophezeit, dass das Land noch stärker als bisher schon seine grünen Technologien wie Solar- und Windenergien fördern werde. Ein großer Pluspunkt sei zudem, dass Japans Wirtschaft extrem energieeffizient sei. "Bei der Energiesparsamkeit ist das Land sogar schneller vorangekommen als Deutschland." Nicht nur Industrie und Bauwirtschaft, auch die Bevölkerung wird mit staatlichen Subventionen zum Energiesparen angeregt. Japan ist heute Weltmeister in der Disziplin Energieeffizienz - dieser Erfolg bleibt. Ansonsten aber, so stellt George Friedman, Mitbegründer der amerikanischen Denkfabrik Stratfor, fest, zeigt sich dieser Tage, dass das rohstoffarme und erdbebengefährdete Japan "den geografischen Realitäten nicht entkommen kann". Japans altes Problem, die fehlende Energieversorgungssicherheit, ist wieder akut.

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