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Fußball Fußball-WM 2022

Das unmenschliche Leiden der Gastarbeiter in Katar

Moderne Sklaverei im Land der Fußball-WM

2022 soll in Katar, dem reichsten Land der Welt, die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen werden. Kaum Gehalt, überbelegte Arbeitercamps und Tote: Das ist der Preis, der dafür bezahlt wird.

Quelle: Die Welt

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2022 soll die Fußball-WM in Katar stattfinden. Seit Monaten häufen sich Meldungen, wonach Bauarbeiter dort wie Sklaven gehalten werden. Wer hat Schuld? „Welt“-Reporter Tim Röhn sucht nach Antworten.

Es ist hell in der Ankunftshalle des Flughafens Doha. Ein künstliches, grelles Licht. Und es ist laut. Männer schwirren umher, brüllen „Taxi, Taxi!“, halten Fotos von Menschengesichtern oder Zettel mit darauf gekritzelten Namen in ihren Händen, suchende Blicke. Es herrscht heilloses Durcheinander an diesem späten Donnerstagabend im Februar, so wie an den meisten anderen Tagen auch. Aber Nijmal bekommt davon nicht mehr viel mit. Er sitzt auf einer Bank in der Nähe des Ausgangs, seine Augenlider sind schwer, er hat Mühe, sich wach und aufrecht zu halten. Neun Stunden zuvor hat Nijmal zum ersten Mal in seinem Leben katarischen Boden betreten. Spätestens da, bei der Passkontrolle, gab er, das kann man so sagen, die Kontrolle über sein Leben ab.

Einen Empfang hat ihm niemand bereitet. Sein Arbeitgeber hat den 21 Jahre alten, dürren, schüchternen Jungen am Flughafen sitzen lassen. Vielleicht absichtlich, vielleicht hat er ihn aber auch einfach nur vergessen. Nijmal hat kein Handy und kein Geld, und er kennt keine Telefonnummer, die er wählen könnte, um zu fragen, wie es jetzt weitergeht.

Der junge Mann ist Nepalese, er gehört von nun an zu den rund 1,7 Millionen Gastarbeitern, die in Katar leben; das sind 88 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zehntausende von ihnen, vor allem die Billigarbeitskräfte, leben im Elend, man degradiert sie zu Sklaven. Sie werden schlechter als versprochen oder gar nicht bezahlt, sie sterben an Erschöpfung oder bei Unfällen auf den Baustellen. Das sind die Meldungen, die aus Katar in die westliche Welt übermittelt werden. Seit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 nach Katar steht der Wüstenstaat im Fokus, und die Weltöffentlichkeit erfährt fast ausschließlich Erschreckendes.

Rucksack, Reisepass, drei Blatt Papier

Wer ist verantwortlich für die Ausbeutung und den Tod von Gastarbeitern im WM-Land Katar? Das Emirat allein, auf das die Welt mit dem erhobenen Zeigefinger zeigt? Oder machen sich auch andere schuldig, zum Beispiel deutsche Unternehmen? Und: Wie geht es jetzt weiter?

Einen kleinen Rucksack, seinen Reisepass und drei DIN-A4-Papiere, das ist es, was Nijmal aus seiner Heimat mitgebracht hat. Er spricht nur Nepali. Ein zweiter Nepalese, Hari, der im gleichen Flugzeug aus Kathmandu saß und den ebenfalls niemand abholt, kann ein wenig Englisch. Auf dem ersten Papier, das Nijmal in den Händen hält, stehen die Informationen zu seinem Visum und seinem Arbeitgeber. Das zweite Papier, das Nijmal dabeihat, ist die Quittung für die Bezahlung der Dienste von Sampada Overseas, der Menschenhändler-Agentur aus Kathmandu, die ihn hierher vermittelt hat. 20.000 nepalesische Rupie hat der Mann bezahlt, knapp 150 Euro.

Das dritte Papier, so sagt er, sei sein Arbeitsvertrag. Aber das ist es nicht. Es ist eine Abmachung zwischen Sampada Overseas und dem katarischen Arbeitsvermittler Qatar & Middle East Trading & Contracting über die Lieferung von Arbeitern in das Emirat. Es steht geschrieben, wie viel einfache nepalesische Arbeiter verdienen sollen. Von einem Mann namens Nijmal ist keine Rede, aber offenbar hat man ihm erzählt, dies sei sein Vertrag. Man hat ihn unterschreiben lassen. Unter einem wertlosen Schriftstück in englischer Sprache steht jetzt „NIJMAL“. Hingekritzelt von einem Menschen, der weder lesen noch schreiben kann und denkt: Mit dem Abenteuer Katar wird alles besser. Aber da irrt er sich.

Verdacht der Korruption

Als die Fifa die WM im Jahr 2010 nach Katar vergab, war der Aufschrei groß. Dass sich der Ministaat in der entscheidenden Abstimmung des Exekutivkomitees mit rechten Mitteln gegen Mitbewerber wie die USA und Australien durchgesetzt hatte, mochten viele nicht glauben. Korruption wurde und wird gewittert.

Erst Anfang dieser Woche gab es einigen Wirbel, als der britische „Telegraph“ berichtete, eine Firma des katarischen Fußball-Funktionärs Mohamed Bin Hammam habe 1,54 Millionen Euro an Ex-Fifa-Vizepräsident Jack Warner und dessen Familie überwiesen – und zwar kurz nach der Abstimmung zur Austragung der WM 2022. Wem der aus Trinidad und Tobago stammende Warner damals seine Stimme gab, ist unklar. Er selbst weist alle Korruptionsvorwürfe zurück. Auch die Katarer bestreiten vehement, Stimmen gekauft zu haben.

Es gibt weitere Vorbehalte gegen Katar. Nicht wenige westliche Funktionäre, Fans und Journalisten sind der Meinung, dass eine Weltmeisterschaft schlichtweg nicht in einen Staat wie Katar gehört: das Land zu klein, die Luft zu warm, Alkohol nicht überall verfügbar. Es gab noch nie eine Fußball-WM im arabischen Raum, und ginge es nach den Katar-Gegnern, sollte es dabei vorerst auch bleiben.

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Der Ausrichter verspricht dagegen, es werde möglich sein, drei Spiele an einem Tag zu sehen – die Wege zwischen den einzelnen WM-Orten sind kurz. Was die Trinkgelage angeht, so wird es einen Kompromiss geben; Alkohol wird verfügbar sein, aber nicht überall. Und mit Blick auf die hohen Temperaturen im Sommer haben die Katarer bereits gesagt, eine Winter-WM sei auch kein Problem. Das will Fußball-Europa so dann aber auch nicht unbedingt: Eine WM müsse im Sommer sein, sagen die Fans. Public Viewing daheim mit einer Tasse Glühwein in der Hand? Unvorstellbar.

Zwanziger kritisiert die Zustände

Und schließlich gibt es noch den vielleicht schwersten Vorwurf, der die Anti-Katar-Stimmung weiter verstärkt hat: In Berichten in die Rede von toten Bauarbeitern auf den WM-Baustellen. Inzwischen hat sogar die Fifa reagiert. Der Fußball-Weltverband, der sich noch bei der Entscheidungsfindung pro Katar um die Ausbeutung von Gastarbeitern wenig scherte, übt seit einigen Monaten Druck auf das Land aus. Das liegt vor allem an Theo Zwanziger, dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Zwanziger ist erst seit 2011 Mitglied des Exekutivkomitees, mit der Vergabe der WM nach Katar hatte er nichts zu tun. Er hält sie für falsch.

Seit Ende 2013 führt Zwanziger eine Task-Force an, die sich mit den Menschenrechten in Katar befasst. Bei einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses der Europäischen Kommission im Februar in Brüssel kritisierte er die Zustände im Emirat scharf. Dem Boss des WM-Organisationskomitees, Hassan Al-Thawadi, machte er in einem Vieraugengespräch in Zürich klar: So geht es nicht weiter.

Zwanzigers Problem ist, dass es ihm an Mitstreitern mangelt. Viele seiner Kollegen beschäftigen sich nicht mit den Menschenrechten; das sei nicht das Thema für eine solche Institution, sagen sie. Michel Platini, Uefa-Präsident und Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees, glänzte zuletzt bei der Anhörung des Menschenrechtsausschusses trotz Einladung durch Abwesenheit. Der Franzose hatte bei der Abstimmung zur WM 2022 für Katar gestimmt, sein Sohn erhielt kurz darauf einen Job bei einem Ableger des katarischen Staatsfonds.

Auch der deutsche Fußball hält sich beim Thema Menschenrechte weitgehend bedeckt. Zwanzigers Nachfolger als DFB-Präsident, Wolfgang Niersbach, sagte im Oktober, für ihn seien die Berichte von Ausbeutung und Sklaverei neu. Später übte er ebenfalls Kritik. Er sagte aber auch, die Rolle von Sportverbänden dürfe nicht überhöht werden. Der FC Bayern und der FC Schalke 04 entfliehen seit Jahren in der Winterpause der mitteleuropäischen Kälte und halten Trainingslager unter der Wüstensonne ab. Franz Beckenbauer teilte nach seinem jüngsten Katar-Besuch lapidar mit, er habe keine Sklaven gesehen.

Arbeiter werden wie Leibeigene behandelt

Auf dem Visum von Nijmal, dem Jungen vom Flughafen, ist der Arbeitgeber eingetragen; die Handynummer des Managers ist im Internet zu finden. Um kurz nach 23 Uhr berichte ich dem Mann davon, dass am Flughafen seit neun Stunden einer seiner Arbeiter wartet. Das sei möglich, antwortet der Manager, heute könne aber niemand mehr kommen. Warum? „Weil es jetzt zu spät ist.“ Ich sage, dass ich darüber in einer deutschen Zeitung schreiben werde. Der Mann entgegnet: „In 20 Minuten ist mein Fahrer da.“

In Katar hat das Kafala-System Gültigkeit. Das ermöglicht es Firmenbossen, ihre Angestellten wie Leibeigene zu behandeln. Nicht der Staat registriert die Ausländer, sondern das katarische Unternehmen, das als Arbeitgeber fungiert. Die Firma, genannt Sponsor oder Kafeel, entscheidet darüber, wann ein Arbeitnehmer ausreisen und ob er den Arbeitgeber wechseln darf. Kurzum: Ein Mensch liefert sich einem anderen Menschen aus.

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Laut einer Studie der Universität Doha aus dem vergangenen Jahr mussten 90 Prozent der Billigarbeitskräfte ihren Reisepass abgeben, nur etwas mehr als die Hälfte bekam von ihrem Sponsor – wie gesetzlich vorgeschrieben – eine Krankenversicherungskarte ausgehändigt. 21 Prozent der Befragten gaben an, „manchmal, selten oder nie“ pünktlich bezahlt zu werden.

Die Arbeitsverträge haben in der Regel eine Laufzeit von zwei Jahren, vorzeitige Kündigung ausgeschlossen. Wer seinem Sponsor davonläuft, macht sich in Katar eines Verbrechens schuldig und wird zur Fahndung ausgeschrieben. Mehrere Dutzend dieser Menschen stehen jeden Morgen an einer Straße in der Nähe der Großbaustelle Musheireb und hoffen, irgendwo schwarzarbeiten zu können. Einer der Männer sagt: „Wenn ich Glück habe, bekomme ich 30 Ryal am Tag.“ Das sind sechs Euro.

Journalist Bouneb wird seit 2011 festgehalten

Die Existenz des Kafala-Systems verteidigen Katarer damit, dass es unmöglich sei, als ein solch kleines Volk mit nur 200.000 Einheimischen den ganzen Arbeitssektor zu organisieren. Menschenrechtsorganisationen lassen diese Erklärung nicht gelten, sie fordern seit Jahren die Abschaffung des im gesamten arabischen Raum gültigen Systems. Bislang ohne Erfolg.

Betroffen sind nicht nur Bauarbeiter. Jeder Ausländer, der ein Jobangebot in Katar annimmt, läuft Gefahr, in dem Emirat festgehalten zu werden. Unabhängig von der Nationalität und der Art des Arbeit. Der Fall Zahir Belounis erregte weltweit Aufsehen. Dem französischen Fußballer wurde von seinem Sponsor eineinhalb Jahre lang das Ausreisevisum verweigert, weil er seinen Verein wegen ausstehender Gehaltszahlungen verklagt hatte.

Und der Tunesier Mahmoud Bouneb, acht Jahre lang Direktor des Kinderkanals des TV-Senders Al Jazeera, wird festgehalten. Im September 2011 wurde der Kanal von einem Tag auf den anderen dichtgemacht, die Staatsanwaltschaft warf Bouneb finanzielle Misswirtschaft vor. Der Journalist und seine Frau dürfen wegen des Vetos ihres Sponsors nicht ausreisen, seit November 2012 bekommen sie kein Geld mehr; der Arbeitgeber kündigte ihre Krankenversicherung. Einen neuen Job dürfen sie nicht annehmen.

Bis heute hat kein Gerichtsprozess gegen Bouneb begonnen, zwei Gutachten, darunter eines von Ernst & Young, kamen zu dem Schluss: Der Mann ist unschuldig. Aber die Katarer lassen ihn nicht gehen. Fünf Angehörige Bounebs sind in den vergangenen zwei Jahren gestorben, Bouneb beantragte ein Ausreisevisum aus humanitären Gründen, um bei den Beerdigungen dabei zu sein. Er durfte nicht raus.

Seine Mutter ist 82 und schwer krank. Sie fragt: Warum kommst du nicht endlich nach Hause? „Niemand mit ein bisschen Logik kann verstehen, was hier geschieht. Wir sind nicht die Ersten, denen so etwas passiert, und wir werden auch nicht die Letzten sein.“

Abenteuer entpuppt sich als Albtraum

Journalist Bouneb und seine Frau leben von ihren Ersparnissen, sie dürfen weiter kostenfrei in ihrem Haus in Doha bleiben. Sie haben Glück im Unglück. Die meisten der Gestrandeten, die Billigarbeitskräfte, haben das nicht. Was sie alle eint: dass sich ihr Abenteuer Katar als Albtraum entpuppte. Und das davon vor der Abreise aus der Heimat niemand etwas ahnte.

Auch Nijmals neuer Bekannter Hari wird bald enttäuscht sein. Der 32-Jährige hat den gleichen Zettel dabei wie Nijmal, nur aufgesetzt von einem anderen Arbeitsvermittler. Das Papier wird man wegwerfen und einen richtigen Vertrag machen. Mit bereits festgelegten Konditionen allerdings, ohne Verhandlungsspielraum.

Hari, der aus einem kleinen Dorf im Himalaja stammt, verheiratet ist und zwei Kinder hat, weiß schon nach ein paar Stunden in Katar erst mal nicht mehr, wie es weitergehen soll. Er hat Hunger und Durst, aber kein Geld, um sich etwas zu kaufen. Wenn er am Flughafen einfach vergessen würde, wenn nie jemand käme – was könnte er tun?

Wer für einen Job in der Wüste das Flugzeug besteigt, reist ins Ungewisse. Ob der Sponsor den Arbeiter am Flughafen abholt, ob er pünktlich zahlt, ob er seinem Arbeiter einen Jobwechsel oder die Ausreise gewährt – das kann niemand vorher sagen.

Und der Traum von einem besseren Leben verblasst spätestens in einer stockdunklen Seitenstraße in Al-Waab, einem Stadtteil der katarischen Hauptstadt Doha. Dort steht ein zweistöckiges, u-förmiges Gebäude, in dessen Innenhof abends ein paar Lampen flackern.

Die Zimmertüren stehen offen, 17 Räume ohne Klimaanlage, die fast vollständig von Hochbetten eingenommen werden. Die Matratzen sind voller Flecken und ohne Laken. Manch einer findet nur einen Platz auf den Isomatten, die den Fußboden bedecken. Im Erdgeschoss gibt es am Ende eines engen und feuchten Gangs Plumpsklos und verdreckte Kochstellen.

160 Euro für 66 Stunden Arbeit

Rajesh Kumar ist einer der wenigen Männer, die nicht in ihre Zimmer verschwinden, wenn sie Fremde sehen. Er erzählt von seinem Leben in Katar, bittet aber darum, nicht seinen richtigen Namen zu schreiben; der Mann fürchtet sich. Elf Stunden arbeite er täglich auf einer Baustelle in der Nähe, sechs Tage die Woche, sagt er. 800 katarische Ryal verdiene er, das sind umgerechnet 160 Euro.

Die Agentur hatte ihm vor der Abreise 200 Euro versprochen, aber in Katar, dem reichsten Land der Welt, werden auch die Ärmsten um 40 Euro pro Monat betrogen. Hat sich Rajesh Kumar beschwert? Er lächelt gequält. „Ich habe es akzeptiert. Was könnte ich anderes tun?“

Die Männer in Al-Waab sind keine Ausnahme. Im ganzen Land werden Arbeiter in winzige Unterkünfte zusammengepfercht, sie werden ausgebeutet, geschlagen und sterben an Erschöpfung.

Den meisten Katarern geht es gut, es gibt riesige Öl- und Gasvorkommen im Land, es wird vor allem in Beton investiert. Glitzernde Bürotürme, Luxushotels, ein U-Bahn-System, neue Städte und Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaft werden errichtet. Das ganze Land ist eine Baustelle, etwa 150 Milliarden US-Dollar investiert Katar bis zum WM-Start in acht Jahren.

Hunderttausende Menschen pro Jahr setzen sich in Flugzeuge gen Doha, um den Katarern ihren Traum von Glanz und Glamour zu erfüllen. Die meisten Arbeiter sind Inder, aktuell eine halbe Million. Die am stärksten wachsende Population ist die der Nepalesen; 400.000 leben bereits hier, allein in diesem Jahr werden 100.000 weitere erwartet.

Mit den Einheimischen haben die Billigarbeiter, wenn überhaupt, nur bei der Arbeit zu tun, sonst leben sie in einer anderen Welt. Am Wochenende dürfen sie die großen Shopping-Zentren in Doha nicht besuchen; Eintritt nur für Katarer und Westler. Ein Arbeitercamp darf nur in Vierteln errichtet werden, in denen kein Katarer lebt. Mit Armut wollen die meisten Einheimischen nicht konfrontiert werden.

Voller Scham und Resignation

Mehr als 200 Menschen wohnen in dem Arbeiterlager in Al-Waab, in zwei Schichten schuften sie auf Baustellen in und um Doha. Nicht nur ihre Schilderungen sind erschütternd. Auch ihr Verhalten erzählt von ihrem Leid.

Wie sie langsam über die Flure ihrer Unterkunft schleichen. Wie sie den Blick senken, wenn man sie anschaut. Wie sie die Hand einfach nur hinhalten, wenn man sie ihnen zur Begrüßung schütteln will. Wie einige davonlaufen, wenn Fremde die Missstände begutachten, und aus Angst vor ihrem „Master“ nichts erzählen wollen.

Und dann ist da dieser Mann, der im Freien unter einem Wasserstrahl in Hüfthöhe hockt, um sich zu duschen. Ein Blick voller Scham und Resignation. Es scheint, als hätten viele dieser Menschen kapituliert. Als würden sie nichts mehr erwarten vom Leben.

Ein Arbeiter sagt: „Man behandelt uns wie Tiere. Wir leben wie Pferde im Stall.“ Nijmal und Hari, den Männern vom Flughafen, droht das gleiche Schicksal.

Vor einem halben Jahr gab es den ersten weltweiten Aufschrei wegen der Ausbeutung von Arbeitern in Katar, er traf das Emirat völlig unvorbereitet. Tatsächlich hatte der internationale Gewerkschaftsbund ITUC bereits im Jahr 2011 mit einem Report auf die Missstände aufmerksam gemacht. Aber damals interessierte sich kaum einer dafür.

 Als im Herbst vergangenen Jahres die britische Zeitung „Guardian“ und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ihre Recherchen öffentlich machten, war das anders. Seitdem wächst die Kritik an Katar beständig. Ist das Emirat allein verantwortlich für das Drama?

Die Menschenhändler sitzen in Nepal

Kathmandu, vor Jahrzehnten Hochburg der Hippies, ist ein einziger Moloch. Die nepalesische Hauptstadt ist übersät mit Plastikmüll, beißender Geruch steigt von den Straßen auf. Lkw blasen schwarzen Rauch in die Luft, hinter dem Smog lässt sich die Sonne nur erahnen.

Im Stadtteil Pingalasthan arbeiten die Agenturen, die ihr Geld mit Menschenhandel verdienen. Eine dieser Firmen sitzt in einem farblosen Gebäude unweit vom Ufer des Bagmati-Flusses. Sampada Overseas schickt Nepalesen als billige Arbeitskräfte in die Golfstaaten. Nijmal wurde von dieser Firma nach Katar geschickt.

Viele der Rekrutierten haben es bis dahin nicht einmal über die Grenze ihres Dorfes hinaus geschafft. Sie kommen aus dem Hinterland, viele aus dem Himalaja, sie haben noch nie Kathmandu erlebt und erst recht kein Flugzeug bestiegen. Und viele von ihnen kommen auch nicht selbst auf die Idee, ihr Glück im Ausland zu suchen. Sie werden gefragt, was sie von einem besseren Leben halten würden. Ein Abschied wird ihnen schmackhaft gemacht.

„Ich habe 400 Agenten in ganz Nepal, die Arbeiter rekrutieren“, sagt Peshal Rai, der Direktor von Sampada Overseas, mit einem breiten Grinsen. Er sitzt in seinem schmucklosen Büro in der zweiten Etage und tippt auf seinem Smartphone herum.

Rai macht kein Geheimnis daraus, dass es nicht die Firmen sind, die seine Dienste bezahlen, sondern die Menschen, die ins Ausland vermittelt werden. Der Betrag ist sofort fällig, noch vor der Abreise. Maximal 10.000 nepalesische Rupie, sagt Rai, mehr verlange er nicht pro Vermittlung. Das wären knapp 75 Euro. Es gibt Arbeiter, die in Doha ankommen und Quittungen dabeihaben, die belegen: Sie haben viel mehr bezahlt. So wie Nijmal.

Kein Wille zur Veränderung erkennbar

2011 berichtete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, dass 90 Prozent der befragten Arbeitsmigranten von ihren Agenturen über die wahren Arbeitsbedingungen getäuscht wurden. Von verbrecherischen Personalvermittlern, die Nepalesen zwecks Ausbeutung und Zwangsarbeit ins Ausland schicken, ist in dem Report die Rede.

Einmal in Ländern wie Katar angekommen, werden Arbeiter von einer Firma zur nächsten verschenkt oder verkauft. Amnesty International appellierte damals an die nepalesische Regierung, gegen diese Agenturen vorzugehen.

Jetzt, zwei Jahre später, sagt Norma Muico, die den Bericht damals verfasste: „Ein ernsthafter Wille, die Dinge zu verändern, ist bislang nicht zu erkennen. Das liegt nicht zuletzt an der instabilen politischen Lage in Nepal. Ständig gibt es personelle Veränderungen innerhalb der Regierung, die Ansprechpartner für uns bei diesem Thema wechseln ständig. So kann es maximal kleine Schritte geben, aber keinen wirklichen Fortschritt.“

Wenn ein Vater oder ein Bruder seine Heimat verlässt, dann muss die Familie Schulden machen, um die Agenturen zu bezahlen. Die meisten nehmen einen Kredit auf. Bis zu 60 Prozent Zinsen verlangen die Banken. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Nepal liegt bei knapp 400 Euro, und in vielen jener Orte, in den die Agenten Jagd machen auf potenzielle Arbeiter, verdient niemand so viel.

Für die Familien ist es ein großes Risiko, aber die Versprechungen hören sich zu gut an: Er wird ganz sicher viel Geld nach Hause schicken, wir werden ein besseres Leben haben; das ist es, was die Menschen denken. Wenn es aber Probleme vor Ort in Katar gibt, ist niemand da, der hilft. Der Job der Agenturen ist erledigt, wenn die Arbeiter im Flugzeug sitzen. Dann müssen die Männer selbst sehen, wie sie zurechtkommen.

Bei Todesfällen hört die Profitgier nicht auf

Nijmal geht weit nach Mitternacht mit vorsichtigen Schritten über den Flughafenparkplatz in Richtung eines weißen Lieferwagens, der Fahrer weist ihn mit hektischen Handbewegung an, sich zu beeilen. Auch Hari ist dabei. Der Fahrer von Haris künftigem Arbeitgeber ist zwar nicht in der Ankunftshalle erschienen, und seine Agentur hat ihm in Kathmandu eingeimpft, mit niemand anderem mitzugehen, aber Hari hat es am Flughafen nicht mehr ausgehalten. Man verspricht ihm, ihn am nächsten Morgen bei seinem Kafeel abzuliefern. Eine Garantie dafür gibt es nicht, vielleicht verläuft sich die Spur des Mannes im Wüstensand.

50 bis 60 Arbeiter kommen täglich zur nepalesischen Botschaft in Doha und bitten um Unterstützung bei Streitigkeiten mit ihrem Arbeitgeber. Die Männer klagen über ausbleibende Gehaltszahlungen, unbezahlte Überstunden, die Wegnahme ihres Reisepasses und darüber, dass sie nicht ausreichend Trinkwasser während der Arbeit bekommen.

Die Botschaftsmitarbeiter empfehlen den Gang zum Arbeitsgericht, mehr können sie nicht tun. Ein asiatischer Diplomat, der anonym bleiben will, sagt: „Leider bringt das oftmals nichts, im Gegenteil. In vielen Fällen ist es so: Sobald das Arbeitsgericht die Firma kontaktiert, meldet diese den Arbeiter als vermisst und liefert den Pass bei der Polizei ab. Die Polizei sucht den Arbeiter, nimmt ihn fest und weist ihn aus Katar aus – ohne dass der Fall vor Gericht geklärt wurde und der Arbeiter sein Geld bekommen hat.“

Es gibt in Katar noch eine perfidere Masche, um Menschen zu betrügen und auszubeuten: Arbeitern, die nicht lesen oder schreiben können, werden Papiere zum Unterschreiben vorgelegt. Was sie nicht wissen: Es sind Quittungen über Gehaltszahlungen. Wenn sich ein Arbeiter beim Arbeitsgericht beschwert, legt der Arbeitgeber unterschriebene Zahlungsbelege vor.

Selbst bei Todesfällen hört die Profitgier nicht auf. Wenn ein Ausländer bei einem Arbeitsunfall ums Leben kommt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Angehörigen Schmerzensgeld zu zahlen. Aus den asiatischen Botschaften ist zu hören, dass Unternehmen diese Pflicht immer häufiger dadurch umgehen, dass sie angeben, der tote Arbeiter habe Suizid begangen. Arbeitskollegen bezeugen, dass es so nicht war, aber das hilft nicht.

Unternehmen halten sich nicht an die Regeln

Khaled Abdel Hamid hörte die Schreie und rannte aus seinem Büro in die zweite Etage des Hotel-Rohbaus, wo Shamim Abdullah (Name geändert) auf dem Beton lag und sich nicht mehr rührte. Die Ambulanz kam nach 45 Minuten, ein Notarzt reanimierte den Mann. Sie legten ihn auf eine Trage und fuhren ihn ins Krankenhaus. Dort starb er vier Tage später. So erzählt es Hamid.

„Er war erst im Januar aus Bangladesch gekommen. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Es ist eine Katastrophe“, sagt der Mann. Der Deutschägypter steht im Staub seiner Baustelle und presst die Lippen aufeinander. Er managt die katarische Baufirma Al-Sraiya, die ein Luxushotel mit 18 Stockwerken in Lusail City baut. Für den Arbeiter aus Bangladesch wurde das Gelände zur Todesfalle. Ein Stahlrohr stürzte auf seinen Kopf.

Hamids Sicherheitsoffizier saß nach dem Unfall vier Tage im Gefängnis. Er kam frei, weil Hamid nachweisen konnte, dass Arbeiter einer anderen Firma geschlampt hatten. Sie hatten Stahlrohre auf dem Dach nicht richtig gesichert. „Die meisten Unternehmen hier“, sagt Hamid, „halten sich nicht an Regeln. Es ist kein Wunder, dass es regelmäßig zu schweren Unfällen kommt.“

Nicht zuletzt in Lusail, in jener 38 Quadratkilometer großen Stadt, die da gerade vor den Toren Dohas aus dem Wüstenboden gestampft wird und einmal 200.000 Menschen beherbergen soll. Vor acht Wochen, so Hamid, stürzte ein Arbeiter auf einer benachbarten Baustelle vom Dach eines Gebäudes in den Tod. Im November sei ein Mann bei einem Feuer verbrannt. Das ist das, was der Ingenieur zuletzt mitbekommen hat.

Im Sommer vergangenen Jahres wurden zudem sieben Bauarbeiter auf der Straße von einem Pkw erfasst und starben. Ein Lusail-Sprecher erklärte kurz darauf, der Unfall sei nicht direkt auf dem Gelände, sondern etwas abseits geschehen. Damit wies er jede Verantwortung von sich.

Tote sind schlecht für das Image

Tote in Lusail City gibt es nicht. Das ist es, was die Dorsch Gruppe, die nach eigenen Worten größte unabhängige Planungsgruppe Deutschlands, der Öffentlichkeit erklärt. Sie bestreitet, dass Menschen in Lusail City ums Leben gekommen sind. Die Offenbacher Firma, die 1800 Mitarbeiter beschäftigt und in 40 Ländern tätig ist, ist verantwortlich für die Bauaufsicht von Lusail City. Sie überwacht elf verschiedene Teilbauprojekte in verschiedenen Ingenieurdisziplinen.

Als die Firma im April 2012 als Gewinner der Ausschreibung feststand, jubelte Dorschs Katar-Chef Ayman Haikal: „Dieser Zuschlag ermöglicht uns zukünftig sehr gute Chancen für weitere anspruchsvolle Aufträge und Wachstum in Katar.“

45 Milliarden US-Dollar lässt das Emirat für die Realisierung des Megaprojekts springen, mehrere Millionen davon fließen nach Offenbach. Dort machte Dorsch-Geschäftsführer Olaf Hoffmann Anfang 2013 in einem Interview die Bedeutung von Lusail City klar.

Er sagte, das Projekt sei „ein wichtiger Meilenstein in der Unternehmensentwicklung, da wir uns für ein solches Megavorhaben auf Weltniveau mit der absoluten Weltspitze erfolgreich gemessen haben. Wir haben uns mehrere Jahre auf diese, in Europa unbekannte Größenordnung von internationalen Projekten vorbereitet.“

Meldungen über tote Bauarbeiter würden dem Image ziemlich schaden. Geschäftsführer Hoffmann sagte im Oktober im Interview mit dem „Handelsblatt“: „Auf den Baustellen in Lusail City ist in den vergangenen zwei Jahren kein einziger Arbeiter gestorben.“

Mit dieser Aussage reagierte Hoffmann auf einen „Guardian“-Bericht, in dem die Arbeitsbedingungen in Lusail City kritisiert wurden. Das „Handelsblatt“ schlussfolgerte damals, „ein Interesse, die Situation schönzureden“, sei bei Hoffmann „nicht erkennbar“.

Für Katarer eine globale Schande

Kurz nach der Veröffentlichung des „Handelsblatt“-Textes wird eine Anfrage zum Gespräch mit Hoffmann von der Dorsch Gruppe abgewiesen. Es sei alles gesagt, heißt es. Auch einer neuerlichen Bitte Mitte Februar um Beantwortung einiger Fragen, unter anderem zur Anzahl der Toten und Verletzten in den vergangenen zwei Jahren in Lusail City, wird nicht entsprochen.

Am 24. Februar antwortet Dorsch schriftlich: „Unser Geschäftsführer Herr Olaf Hoffmann hat sich bereits im Oktober 2013 dem ‚Handelsblatt‘ gegenüber zu diesem Thema geäußert – dem gibt es nichts hinzuzufügen, da seine Aussagen nach wie vor aktuell sind.“

Dorsch bleibt dabei: In Lusail City ist niemand ums Leben gekommen. Was bloß ist dann mit Shamim Abdullah passiert? Im September stürzte in Lusail City eine Brücke ein, 18 Arbeiter wurden verletzt, als Stahlstangen auf sie fielen. Auch Fragen zu Konsequenzen, die aus diesem Unfall gezogen wurden, beantwortete die Dorsch Gruppe nicht.

Nicht nur in Lusail ist es zu schweren Unfällen gekommen. Wer durch Dohas Westbay, das Wolkenkratzer-Viertel, fährt, sieht Menschen auf Baustellen in hoch gelegenen Stockwerken arbeiten, ohne dass ein Geländer zwischen ihnen und dem Abgrund wäre. Verantwortlich für die vielen Toten und Verletzten seien nicht zuletzt ausländische Firmen. Das ist es, was die Katarer sagen: dass man ihnen nicht die ganze Schuld geben kann. Dass es eine globale Schande sei.

Nasser Al-Khaters Credo lautet: erst vorbeikommen, dann urteilen. Der Mann lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einem sandsteinfarbenen Haus in einer abgeschlossenen, blitzblanken Wohnanlage in Doha. Der Geschäftsführer des WM-Organisationskomitees hat kurzfristig zum Abendessen eingeladen.

Al-Khater redet die Menschenrechtslage nicht besser, als sie ist. Er sagt: „Wir wissen, dass es Missstände gibt. Katar verheimlicht nichts, und es ist gut, dass über alles berichtet wird. Man muss aber auch beachten, dass wir ein junger Staat sind. Für einen solchen Wandel benötigen wir auch Zeit, das ist nicht über Nacht zu schaffen.“

Allein seien die Probleme nicht zu bewältigen: „Wir brauchen internationale Unterstützung in Form von Partnerschaften. Gemeinsam können wir die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Arbeiter verbessern.“

Neue Arbeitsrichtlinien eingeführt

Al-Khater hasst Berichte wie jene zuletzt, als es hieß, auf den WM-Baustellen seien bereits mehr als 400 indische Arbeiter gestorben. Die erste offizielle WM-Baustelle wurde erst Anfang des Jahres in Al-Wakra eröffnet, hier wird ein 45.120 Zuschauer fassendes Stadion gebaut. 32 Arbeiter waren Ende Februar im Einsatz. Die Männer fahren mit Planierraupen über den Wüstenboden, um den Untergrund für den Stadionbau herzurichten.

In der kleinen Container-Siedlung nebenan gibt es einen Speisesaal und einen Gebetsraum, der palästinensische Projektmanager Fahed schwört, niemand arbeite länger als acht Stunden, und in den heißen Mittagsstunden sei frei. Es könne also gar keine Todesfälle im Zusammenhang mit der WM geben. Sagen die Organisatoren. Der Bau eines U-Bahn-Systems, die Errichtung von Lusail City, wo das Finale-Stadion stehen wird – all das hat nach dieser Logik nichts mit der WM zu tun.

Mehrere Organisationen wie das WM-Komitee und die Qatar Foundation haben in den vergangenen Monaten neue Arbeitsrichtlinien eingeführt. Die Firmen, die in ihrem Auftrag arbeiten, müssen monatlich über Unfälle auf den Baustellen Bericht erstatten und ihren Arbeitern einen Mindestlohn bezahlen. Außerdem dürfen sie nicht mehr als drei Arbeiter in einem Raum unterbringen.

Anzahl der Kontrolleure verdreifacht

In Doha werden 53.000 neue Unterkünfte für Bauarbeiter gebaut. Arbeitsminister Abdullah bin Saleh al-Khulaifi sagte, damit gebe es für Unternehmen keine Entschuldigungen mehr, die Gesetze zu brechen. Sie könnten ihre Arbeiter in den neuen Räumen unterbringen. Die Regierung will per Gesetz vorschreiben, dass Arbeitgeber Arbeitnehmern ein Bankkonto einrichten und ihnen darauf das monatliche Gehalt überweisen müssen. Es gibt kostenlose Englischkurse für ausländische Bauarbeiter.

Die Anzahl der Kontrolleure, die auf den Baustellen nach dem Rechten sehen, wurde verdreifacht. Es gibt einen regelmäßigen Austausch mit Amnesty International, Human Rights Watch und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, in der er über die nächsten Schritte diskutiert wird. Aus dem Inneren dieser Institutionen sind lobende Worte zu vernehmen. Katar bemühe sich tatsächlich, heißt es.

Sharan Burrow, die ITUC-Generalsekretärin, ist eine heißblütige Frau. Sie sitzt in einem Hotelzimmer und wütet. Burrow ist in Katar, um unangemeldet Baustellen und Arbeiterlager zu besuchen und den Mitarbeitern des Arbeitsministeriums ohne lange Vorrede klarzumachen, was sie von den neuen Maßnahmen hält: nichts.

Das, was die Katarer als Wandel verkaufen, sagt Burrow, „ist nichts als PR und Augenwischerei. Es gibt keinen ernst gemeinten Fortschritt.“ Sie fordert die sofortige Abschaffung des Kafala-Systems, auf dem Weg zur Achtung der Menschenrechte sei dieser Schritt „unumgänglich“.

ITUC rechnet mit 4000 toten Arbeiter bis zur WM 2022

Das Kafala-System macht es möglich, dass Menschen wie Nijmal und Hari am Flughafen stranden und Firmen ihre Arbeiter in winzige, dreckige Häuser wie in Al-Waab stecken. Es gibt keine Gewerkschaft, an die sich Arbeiter, die Unrecht erfahren, wenden könnten. Niemand kann streiken. Sklaverei bleibt Sklaverei, auch wenn ein Sklave nun hier und da schönere Zimmer hat und in der Mittagshitze Pause machen darf. Das Glück ist für ausländische Arbeiter weiterhin der wichtigste Faktor beim Abenteuer Katar.

Aus Botschaftskreisen ist zu erfahren, dass im Jahr 2013 in Katar allein 195 Nepalesen starben, die meisten von ihnen auf den Baustellen oder an Erschöpfung nach Feierabend. Bis zum 14. März dieses Jahres hat die nepalesische Botschaft erneut bereits 36 Todesfälle dokumentiert. ITUC-Chefin Burrow warnt nicht ohne Grund davor, dass bis zur WM 2022 insgesamt 4000 Arbeiter gestorben sein könnten.

Hari, der vergessene Mann vom Flughafen, ist eines der Gesichter der katarischen Tragödie. Ich habe Hari meine Kontaktdaten gegeben. Ich sagte ihm, er solle mich am nächsten Tag anrufen und sagen, wie es ihm geht. Ich wollte sehen, ob er Glück hat oder Pech.

Hari, der seiner Agentur 600 Euro zahlte und dessen Familie Schulden machen musste, hat sich nie gemeldet. Ein Anruf bei seinem Sponsor ergab nichts. Die Frau am anderen Ende der Leitung sagte: „Einen Hari kennen wir nicht.“

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