Neuer Ufo-Report :
Warum die NASA jetzt Ufos jagt

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Aliens im Anflug? Nicht ganz. Was hier am 4. Juli 1994 während eines Forschungsflugs der University of Alaska aufgenommen wurde, ist ein sogenannter „Sprite“, eine elektrische Entlandung in der Hochatmosphäre. Die ist die erste Farbaufnahme eines solchen Phänomens.
Die amerikanische Weltraumbehörde veröffentlicht Empfehlungen eines Expertenrats zur Erforschung unerklärlicher Flugobjekte und installiert einen Forschungsdirektor für Ufo-Fragen.

„Davon weiß ich nur, dass ich das auf Twitter gesehen habe.“ So leitete David Spergel am Donnerstag, dem 14. September auf einer Pressekonferenz in der NASA-Zentrale in Washington seine Antwort an einen Journalisten ein, der ihn nach den angeblich außerirdischen Leichenfunden fragte, mit denen zwei Tage zuvor ein einschlägig bekanntes mexikanisches Fernsehgesicht das Parlament seines Landes behelligt hatte. Aber natürlich war Spergel auf die Causa vorbereitet. Immerhin leitete der 62 Jahre alte Astrophysiker von der Princeton Universität einen 16-köpfigen Expertenrat, den die amerikanische Weltraumbehörde um Empfehlungen zum Thema „Unidentified Aereal Phenomena“ (UAP), vulgo „Unidentified Flying Objects (Ufo), gebeten hatte und das nun seinen Bericht der Öffentlichkeit vorstellte. Viel zu sagen hatte Spergel zu den mexikanischen Alien-Mumien aber nicht. „Wer etwas Seltsames hat, soll halt Proben nehmen und sie der globalen Wissenschaft zugänglich machen. Dann werden wir sehen, was wir da haben.“

Damit war Spergel auch schon wieder beim Leitmotiv der ganzen Veranstaltung. Die Einsetzung des Expertengremiums hatte der damalige NASA-Wissenschaftschef Thomas Zurbuchen im Juni vergangenen Jahres angekündigt. Vorausgegangen war 2021 ein Bericht der amerikanischen Geheimdienste über den Stand ihrer einschlägigen Erkenntnisse, zu dem die Parlamentarier auf dem Capitol Hill sie verdonnert hatten, nachdem Bildmaterial von Ufo-Sichtungen durch Angehörige der Streitkräfte an die Öffentlichkeit gelangt war. Jener Bericht der Dienste war indes dünn an Seiten und noch dünner an Daten – und mied den Begriff “außerirdisch“ oder gar „Außerirdische“ wie eine politisch unkorrekte Vokabel.

Das soll nun mittels der Expertise und des Rufes der NASA als Inbegriff von Transparenz und Seriosität in allen Weltraumfragen anders werden: Die Erfassung und Interpretation von Ufo-Sichtungen soll nicht mehr länger in den Händen von Militärs und Geheimdiensten liegen, die ihre Erkenntnismittel weder aufdecken wollen noch dürfen – und sie soll natürlich erst recht nicht phantasievollen Publizisten und ihren Fangemeinden vorbehalten bleiben. Der Report von Spergels Experten ist denn auch keiner, der mehr Daten präsentierte als vor zwei Jahren jener der Schlapphüte. Vielmehr handelt es sich eher um ein Manifest: Die Ufologie müsse endlich wissenschaftlich werden, lautete das Credo.

Der Astrophysiker David Spergel, Vorsitzender des von der NASA eingesetzten Expertenteams und der NASA-Admistrator Bill Nelson bei der Pressekonferenz am 14.9. in Washington.
Der Astrophysiker David Spergel, Vorsitzender des von der NASA eingesetzten Expertenteams und der NASA-Admistrator Bill Nelson bei der Pressekonferenz am 14.9. in Washington.AFP

Und die NASA bringe dafür die richtigen Voraussetzungen mit: Ihre Erdbeobachtungssatelliten könnten die möglichen Gegenstände einzelner Sichtungen zwar im Allgemeinen nicht auflösen, protokollierten aber die Wetter- und Umweltbedingungen am Ort einer Ufo-Meldung. Eine Zusammenarbeit der Behörde mit kommerziellen Anbietern hochaufgelöster Fernerkundungsdaten aus vielen gut kalibrierten Sensoren könnten dem Erfassen der Phänomene selbst die leidige Zufälligkeit nehmen, zumal dann, wenn man zur Auswertung neue Techniken wie das Maschinenlernen verwende. Ohnehin betreue die NASA im Auftrag der Luftfahrtbehörde FAA bereits das Aviation Safety Reporting System, das im Dienst der Flugsicherheit jedes Jahr etwa hunderttausend Meldungen von Airline-Angestellten über irreguläre Vorkommnisse im Luftverkehr bis hin zu Beinahezusammenstößen sammelt. Hier ließen sich in Zukunft auch Ufo-Sichtungen integrieren.

Ein Erkenntnisinteresse mit Stigma

Die so beratene Behörde reagierte noch am selben Tag mit der Berufung eines eigenen NASA-Forschungsdirektors für das Thema, verriet aber auf der Pressekonferenz noch nicht, wer den Job bekommen soll. Erst sieben Stunden später reichte man den Namen nach: Mark McInerney ist es, ein gelernter Meteorologe, der früher am National Hurricane Center arbeitete und bislang der Verbindungsmann der NASA zum Pentagon war, und zwar genau für Ufo-, will sagen UAP-Angelegenheiten.

Das neue Kürzel soll indes nicht nur Unvoreingenommenheit signalisieren – nicht hinter allen Phänomenen stehen auch Objekte –, es soll offenbar auch helfen, das Thema vom Ruch des Unseriösen zu befreien. Tatsächlich hat die Beschäftigung mit dem Thema schon länger ein Imageproblem, und zwar auch dann, wenn sie sie sich zu strenger Naturwissenschaftlichkeit bekennt. So wurde der Name des neuen Forschungsdirektors deswegen nicht gleich bekannt gegeben, weil bereits einige Mitglieder von David Spergels Expertenrat Anfeindungen ausgesetzt gewesen seien, erklärte Daniel Evans von der NASA-Zentrale der „New York Times“. „Einige steigerten sich bis zu richtigen Drohungen.“

Akademische Hass-Mails

Und eine Passage weiter hinten im Report macht deutlich, dass der Gegenwind weniger vonseiten klassischer Alien-Gläubiger oder Verschwörungstheoretiker kommt als vielmehr aus genau der entgegengesetzten Richtung: „Mindestens ein Wissenschaftler im Expertenteam berichtete von Hass-Mails von Kollegen aufgrund seiner Mitgliedschaft“, heißt es dort. „Andere wurden auf sozialen Medien kritisiert und lächerlich gemacht. Teammitglieder haben auch Kenntnisse aus erster Hand von Fällen, in denen Kollegen gewarnt wurden, sich mit Forschungsthemen wie extraterrestrischen Technosignaturen zu befassen. Das würde ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und ihre Karriereaussichten beschädigen.“

Tatsächlich leugnet der Spergel-Report nicht, dass die Herangehensweise der NASA an das Thema in einer Kontinuität steht, in die nicht nur die Suche nach Leben jenseits der irdischen Biosphäre gehört – und seien es versteinerte Mikroben aus der Frühzeit des Mars –, sondern auch die Suche nach Funksignalen außerirdischer Zivilisationen. Die Nähe dieses Erkenntnisinteresses zur Populärkultur hat diesem allerdings ein Stigma eingebracht. Aber davon müsse man nun um der Sache willen loskommen. Die Einforderung einer Entstigmatisierung ist neben der einer Verwissenschaftlichung das zweite Leitmotiv des Spergel-Reports: Wer etwas ihm Unerklärliches beobachte, solle davon berichten dürfen, ohne dafür gleich für einen Narren oder Wichtigtuer gehalten zu werden. Denn dies habe in der jüngeren Vergangenheit die ohnehin dürftige Datengrundlage weiter geschmälert.

Das Militär habe hier bereits Fortschritte erzielt, berichtet der Report. Nachdem das Pentagon begonnen hatte, seine Piloten und Seeleute zu ermuntern, UAP-Sichtungen zu melden, seien zwischen dem 5. März 2021 und dem 30. August 2022 insgesamt 247 Meldungen eingegangen – zu vergleichen mit 263 in den gesamten siebzehn Jahren davor. Danach hätten das im Juli 2022 eingerichtete All-domain Anomaly Resolution Office (AARO) des Verteidigungsministeriums, die Geheimdienste sowie die zivile Luftfahrtbehörde FAA zusammen rund 800 Meldungen erhalten. Dies sind dann auch die einzigen Zahlen, die der Bericht von Spergels Experten enthält. Mehr gibt es auch gar nicht. Die Wissenschaft, die sie fordern, hat noch lange nicht die Daten, um schon eine zu sein.