Auf dem Video-Netzwerk TikTok erhielten einige Nutzerinnen und Nutzer zuletzt Aufrufe in Millionenzahl. Der Grund klingt erstmal reichlich absurd: Sie erzählen von Vorteilen, die sie dank ihrer Attraktivität erfahren. Mit dem Trend wollten sie vor einigen Monaten Aufmerksamkeit für das sogenannte Pretty Privilege schaffen – also die Vorteile, die mit Schönheit einhergehen.
Nutzer erzählen, dass sie plötzlich besser behandelt würden, seitdem sie abgenommen hätten. Andere erzählen von alltäglichen Annehmlichkeiten: Geschenke, freier Eintritt. Kaum verwunderlich, dass es sogar eine App gibt, die daraus ein Geschäftsmodell gestrickt hat: Mitglieder der „Beautypass“-Community bekommen Eintrittskarten, Restaurantbesuche oder Schönheitsbehandlungen gratis. Veranstalter oder Salons erhoffen sich Vorteile durch ihre attraktiven Gäste. Man kann sich denken, was Voraussetzung ist, um die App nutzen zu dürfen: Schönheit.
Die andere Seite der Medaille: Wer die Privilegien der Schönheit nicht genießen kann, erfährt Nachteile. Das betont auch Martin Gründl, Attraktivitätsforscher und Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Harz.
Denn Studien haben längst gezeigt, dass Attraktivität auch bei der Bewerbung, im Job und beim Gehalt eine harte Währung ist. „Am besten sind dabei die Vorteile untersucht, die attraktive Menschen im Bewerbungskontext haben“, erklärt Gründl. Attraktivität helfe vor allem in Situationen, wo es auf den ersten Eindruck ankommt. Kennen sich Personen länger, liegen mehr Infos vor, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bewerten – und Fachwissen oder Intelligenz rücken nach vorne.
Unternehmen sollten freilich in ihrer Personalarbeit darauf achten, Bewerberinnen und Bewerber nicht wegen ihres Aussehens zu diskriminieren. Was heißt das für den ersten Kontakt – das Bewerbungsfoto? „Ich würde nicht so weit gehen, es abzuschaffen“, sagt Gründl. Personalabteilungen sollten für ihre Auswahl mehr auf standardisierte Verfahren wie Intelligenztests setzen – weniger Bauchgefühl, mehr Messung, so nennt es der Attraktivitätsforscher.
„Personaler fallen auf Stereotype rein. Was attraktiven Menschen zugeschrieben wird, ist ein Vorurteil.“
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Dabei greife vielmehr das Argument der selbsterfüllenden Prophezeiung: Dass schöne Menschen häufig sozial gewandter wirken, könne daran liegen, dass ihnen Menschen oft positiver begegnen. Oder ein allgemeines hohes Selbstwertgefühl aufgrund des Aussehens. Gründl: „Aber auch Leistung kann eine Quelle für Selbstvertrauen sein!“
Wie misst man Attraktivität, Herr Gründl?
Wie misst man nun Attraktivität, wenn Schönheit doch zumindest sprichwörtlich im Auge des Betrachters liegt? „Wenn man das Bild einer Stimulusperson auf einer Skala von mehr als Hundert Personen beurteilen lässt und dann nochmal eine ähnlich große Stichprobe befragt, kommt meist fast genau das gleiche Ergebnis“, erklärt Gründl das Prinzip, wie Forscher attraktive Personen für ihre Studien auswählen. Der Durchschnittswert sei dann die objektive Attraktivität.
Einige Kriterien, die wir als schön empfinden, hätten sich seit langem nicht geändert. Überordnet nennt Gründl drei Faktoren: Jugendlichkeit und geschlechtstypisches Aussehen. „Das sind universale Merkmale. Ich kenne keine Kultur, die kränkliches oder altes Aussehen als Ideal hätte“, sagt Gründl.
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Gerade bei Frauen gelte das sogenannte geschlechtstypische Aussehen als attraktiv. „Die Merkmale gehen Richtung Kindchenschema: Große Augen, zierliche Nase, Kinn und Unterkieferregion. Dominanter Hirnschädel.“
Aber auch Reifekennzeichen wie hohe Wangenknochen oder konkave Wangen bewerteten Menschen als schön.
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
Bei Männern lauten die Attraktivitätskriterien knapper: Markantes Kinn, markanter Unterkiefer. Aber andere typisch maskuline Merkmale wirkten nicht attraktivitätssteigernd. „Es ist schwieriger zu sagen, was einen attraktiven Mann ausmacht“, erklärt Gründl.
Attraktive Menschen verdienen mehr Geld
Schon mehrere Studien haben in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass schöne Menschen mehr verdienen. Das Gehaltsplus schlägt hierzulande mehr zu Buche, als beispielsweise in den USA. 1994 ermittelte die umfangreiche Studie „Beauty and the Labor market“: Wenn man die Gesellschaft in drei gleich große Teile anhand ihres Aussehens teile, verdient das schönste Drittel 5 Prozent mehr als der Durchschnitt. Das unattraktivere Drittel verdienen 5 bis 10 Prozent weniger als der Durchschnitt. In Deutschland könnten schöne Frauen und Männer sogar bis zu 20 Prozent mehr Gehalt bekommen. Das zumindest ist das Ergebnis einer Auswertung der Ökonomin Eva Sierminska, die dazu verschiedene Studien analysiert hat.
Eine Umfrage mit dem Namen „Allbus“ wiederum drehte den Spieß um und analysierte, in welchen Berufsgruppen der Anteil an schönen Menschen am höchsten ist. Die Stichprobe umfasst 3500 Personen, sie wurden zu Gehalt und Beruf befragt. Zuvor wurde ihr Aussehen von den Interviewern auf einer Skala von 1 bis 11 bewertet. Das Ergebnis: Mittlere Beamtinnen und Beamte schnitten am besten ab, gefolgt von Managern und leitenden Angestellten. Die Beurteilenden stuften hingegen nicht einmal jeden vierten Landwirt oder Arbeiter als attraktiv ein.
Beim Aussehen kann man freilich nachhelfen, ob mit Kosmetika oder operativen Eingriffen. Gründl nennt das „Schönheit herstellendes Verhalten“ und sagt, das könne unter Umständen dazu führen, dass Personen als unehrlich wahrgenommen werden. „Wer beim Aussehen trickst, ist vielleicht auch weniger aufrichtig“, lautet die zugrunde liegende Faustregel. Das könne beispielsweise denjenigen passieren, die auffällig stark geschminkt sind.
Gibt es auch Nachteile für schöne Menschen? Kaum, sagt Gründl. Sogar vor Gericht würden schönen Menschen mildere Strafen zugesprochen.
Mit einer Ausnahme: „Bei Heiratsschwindlern gilt das nicht – wenn jemand also sein Aussehen nutzt, um daraus Vorteile zu ziehen.“
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Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2022 . Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.