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Christian Stöcker

Rechtsextremismus Wie man die AfD kleinkriegt

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Die demokratischen Parteien sind bestürzt von den Umfragewerten der AfD, ein Mittel aber scheint niemand zu haben. Dabei gibt es klare Hinweise aus der Forschung, was zu tun ist.
Demo gegen Rechtsextremismus in Hamburg: Wenn andere Parteien die Themen populistischer Parteien übernehmen, nützt das Letzteren

Demo gegen Rechtsextremismus in Hamburg: Wenn andere Parteien die Themen populistischer Parteien übernehmen, nützt das Letzteren

Foto: Stephan Wallocha / epd / IMAGO

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Populistische Parteien und Politiker reüssieren in bewegten Zeiten wie diesen vor allem aus einem Grund: Sie bieten scheinbar einfache Antworten auf komplexe Fragen. Von denen gibt es viele, vom demografischen Wandel über die Zukunft der globalen Wirtschaftsordnung bis zur Mutter aller Probleme, der Klima- und Artenkrise. Die Antwort von Rechtspopulisten ist immer die gleiche: Die Anderen sind schuld. Die Einwanderer, die »Globalisten« (sprich: die jüdische Weltverschwörung). Alle außer den Populisten selbst.

»Insbesondere in der Vorstellungswelt von Rechtspopulisten gehen die Eliten eine unheilige Allianz mit parasitären Unterschichten ein, die ebenso nicht dem wahren Volk zuzurechnen sind«, hat der in Princeton Lehrende Populismusexperte Jan-Werner Müller geschrieben .

Die erfundene Zweiteilung

Populismus basiert also immer auf einer Zweiteilung, auf Dichotomien. Mehr Vereinfachung geht nicht. Dass Deutschland nicht in zwei Teile zerfällt, zeigt sich derzeit überall auf den Straßen: Menschen unterschiedlichster politischer Ausrichtung, mittlerweile um die 200.000, demonstrieren im ganzen Land gegen die Neofaschisten.

Zwei Ökonomen haben in einem interessanten Beitrag  vor einigen Jahren eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen Neoliberalismus und Populismus diagnostiziert: »Beide gehen von einer zweigeteilten Welt aus, die aus zwei entgegengesetzten Teilen besteht.« Beim Populismus seien das zwei Teile einer Gesellschaft, während »neoliberale Marktfundamentalisten den Standpunkt vertreten, dass es nur zwei entgegengesetzte wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungen gebe.«

Beides beobachten wir derzeit auch in Deutschland, und, was wirtschaftliche Argumentation angeht, nicht nur bei der AfD (die in Sachen Wirtschaft radikal neoliberale Positionen vertritt). Abzulesen ist das am bei Union und FDP mittlerweile gängigen Schimpfwort »Planwirtschaft« für jede Form der Regulierung, die ihnen oder ihrer Klientel nicht passt. In den USA betreiben die von Milliardären finanzierte Tea Party  und ihre Nachfolger in der Republikanischen Partei das schon seit etwa 15 Jahren: Dort gilt selbst eine allgemeine Krankenversicherung vielen als »Sozialismus«.

»Altparteien« und »linksgrün«

Die AfD hat die simulierte Zweiteilung der politischen Landschaft schon sehr früh mit zwei Begriffen markiert: »Altparteien« und »linksgrün«. Das heißt: wir gegen die. Daran, dass die Phrase »linksgrün« längst auch aus FDP und CDU/CSU gelegentlich zu hören ist, kann man den Erfolg dieser populistischen Vereinfachung ablesen. Teile von Union und FDP glauben nach wie vor an die Existenz eines »bürgerlichen Lagers«, zu dem sie selbst sich zählen.

Doch wer soll diesem »bürgerlichen Lager« gegenüberstehen? Die Arbeiterklasse? Und zu welchem Lager gehören die Wählerinnen und Wähler der AfD? Auch die tatsächliche Zusammensetzung der Wählerschaft von Grünen, SPD und Linken führt diese Zweiteilung ad absurdum: All diese Parteien haben selbstverständlich viele »bürgerliche« Wählerinnen und Wähler. Einfache Dichotomien sind in einer komplexen Welt immer falsch.

Maßnahme eins zur Verkleinerung der AfD lautet daher: Alle demokratischen Parteien müssen sich irreführenden Vereinfachungen und Zweiteilungen konsequent widersetzen.

Populisten gewinnen, wenn andere ihre Positionen und Weltdeutungen übernehmen. Das gilt nicht nur für plumpe Angriffe auf die politische Konkurrenz.

Die vermeintlich einfache Antwort von Rechtspopulisten ist ja: »Die Einwanderer sind das Problem«. Das hat die Correctiv-Recherche über die Entvölkerungspläne  deutscher Rechtsextremer diese Woche eindrucksvoll illustriert. Die Abschiebungsphantasien, die in diesen Kreisen als Utopie gehandelt werden, sind nicht nur menschenverachtend, sondern auch irrational: Ein Viertel der deutschen Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Setzten sich die Rechtsextremen mit ihren rassistischen und völkischen Ideen durch, bräche dieses Land zusammen. Rassismus ist keine begründbare Position, er ist emotional und irrational. Ein »arisches« Deutschland gab es nie, kann und wird es nie geben.

Maßnahme zwei lautet daher: Alle demokratischen Parteien müssen rassistische, also irrationale Positionen und Argumente stets als solche brandmarken und sie selbst meiden.

Es gibt in der Union in dieser Hinsicht eine düstere Tradition (»Kinder statt Inder«, Roland Kochs Kampagnen gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund). Und heute? Man denke an Friedrich Merz’ Gerede von den »kleinen Paschas«; von Flüchtlingen, die Deutschen angeblich die Zahnarzttermine wegnehmen; an Markus Söders Gerede vom »Asyltourismus«. Es war in dieser Kolumne schon mehrere Male zu lesen, aber es ist zu wichtig, um es hier wegzulassen: Es ist empirisch vielfach nachgewiesen , dass die Übernahme populistischer Positionen nur den Populisten nützt: Anpassungsstrategien verringern die Unterstützung für Rechtsradikale nicht .

Was dagegen hilft, ist ein »cordon sanitaire« , wie das in der Fachliteratur öfter zu lesen ist, was in etwa dem deutschen Begriff der »Brandmauer« entspricht. Friedrich Merz, Markus Söder und andere, die in der Union (und Teilen der FDP) im Moment das Wort führen, wollen das augenscheinlich nicht wahrhaben. Merz behauptete diese Woche, die Ampelkoalition führe eine »Kampagne« gegen Bauern, Rechtsradikale hätten an den Traktorprotesten gar nicht teilgenommen. Das ist nachweislich  falsch, und das muss Merz auch klar sein. Das ist der Sound und der Stil der AfD.

Wem gehört Einwandererfeindlichkeit?

Wenn andere Parteien die Themen populistischer Parteien übernehmen, nützt das Letzteren. Der Fachbegriff dafür ist »issue ownership«. Die Themen »Ablehnung von Migration und Einwanderern« und »Hass auf die Grünen« sind Kernthemen der AfD. Es ist deshalb ein grober Fehler, dass auch Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sich zwar erfreulich klar von der AfD abgrenzt, aber nicht von ihren Themen. Wüst will eine »Allianz der Mitte«, aber nicht gegen die AfD, sondern gegen Migration. Er schlägt also vor, dass die AfD die Themen setzt für die »Mitte«. Das wird nicht funktionieren.

Die Union, namentlich Leute wie Jens Spahn, Markus Söder oder eben Friedrich Merz, haben das Thema Migration selbst, absichtlich, so groß gemacht, wie es gerade ist. Die Union betreibt Agenda Setting  zugunsten der AfD. Das ist ein kapitaler Fehler. »Medienaufmerksamkeit für Themen, die einer Partei gehören, erhöht die Unterstützung für die Themenbesitzer«, heißt es in einer empirischen Studie von 2016 .

Maßnahme drei lautet deshalb: Alle demokratischen Parteien müssen aufhören, die Themen der AfD ins Zentrum zu stellen. Das gilt insbesondere für die ständige Problematisierung von Migration. Das heißt übrigens nicht, dass man sich nicht inhaltlich mit Themen wie Integration, der Unterstützung der Kommunen oder der Ertüchtigung des Bildungssystems auseinandersetzen kann. Aber nicht auf dem Niveau von »kleine Paschas« und »Asyltourismus«.

Wie soll man der AfD dann begegnen? Indem man sie als das entlarvt, was sie ist: Eine Ansammlung von in großen Teilen rassistischen, immer wieder beim Lügen ertappten Scharlatanen, die, einmal an der Macht, ihrer eigenen Wählerschaft massiv schaden würden.

Es sollte zum Beispiel viel mehr über die wirtschaftspolitischen Wahnideen der AfD gesprochen werden. Aber eben auch über die wahren Konsequenzen ihres irrationalen Rassismus. In einem interessanten Feldexperiment, das 2020 in Italien stattfand, kam heraus: Ein effektives Mittel gegen populistisches Abstimmungsverhalten ist (der Kontext war ein Referendum über die Anzahl der Parlamentsabgeordneten), die Glaubwürdigkeit der Populisten zu attackieren .

Der Correctiv-Bericht war ein gutes Beispiel: Hier konnte man echte Rechtsextreme unter sich und ihre wahren Wünsche gewissermaßen miterleben. Obwohl solche Positionen abstrakt von der AfD und anderen schon länger öffentlich formuliert werden, hat dieses sehr persönliche Erlebnis bei vielen Menschen – und in der Wirtschaft  – offenbar nicht nur Ekel ausgelöst, sondern auch eine Motivation, sich diesen Leuten zu widersetzen.

Maßnahme vier lautet deshalb: Alle demokratischen Parteien müssen, statt deren Themen zu übernehmen, die Unglaubwürdigkeit und Heuchelei, die Lügen und Scharlatanerie der AfD ins Zentrum stellen.

Maßnahme fünf ist keine Aufgabe nur für einzelne Parteien, sondern für die gesamte Gesellschaft, für Verbände, Vereine, Kirchen und jede und jeden einzelnen: Es muss bei jeder sich bietenden Gelegenheit klargemacht werden, dass Zustimmung zu den Positionen der AfD und anderer Rechtsextremer zu gesellschaftlicher Ächtung führt.

Es muss wieder unangenehm sein, beim Verbreiten rechtsextremer Ideen ertappt zu werden. Was gerade in deutschen Innenstädten passiert, zeigt, dass das gelingen kann – wenn auch die demokratischen Parteien mitziehen.