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Vergabe der WM 2006 Die DFB-Millionen - und wer von ihnen gewusst haben muss

Eine schwarze Kasse, die WM 2006 mutmaßlich gekauft: Seit zehn Tagen erschüttern die SPIEGEL-Enthüllungen die Fußballwelt. Hier ist der aktuelle Stand - inklusive eines bislang geheim gehaltenen Dokuments.

Am Sonntagvormittag durften auch die Fans rein. Um Punkt 11 Uhr öffnete das neue Fußballmuseum in Dortmund erstmals für die Öffentlichkeit. Auf 7000 Quadratmetern stellt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) dort die Welt des deutschen Fußballs vor.

Ein Teil der obersten Ausstellungsebene ist der Weltmeisterschaft 2006 gewidmet, dem deutschen Sommermärchen. Doch womöglich wird dieser Abschnitt schon bald um ein dunkles Kapitel erweitert werden müssen.

Das deutsche Bewerbungskomitee für die WM 2006 hatte eine schwarze Kasse eingerichtet, mit der die Vergabe des Turniers mutmaßlich gekauft wurde: Zehn Tage sind vergangen, seitdem der SPIEGEL das enthüllte. An diesem Wochenende legte der SPIEGEL nach und untermauerte die Vorwürfe. Zwischendurch gab DFB-Präsident Wolfgang Niersbach eine verstörende Pressekonferenz (PK), die mehr Fragen aufwarf, als dass sie zur Aufklärung beitrug.

Höchste Zeit für Antworten und einen Überblick:

Wie ist der Stand der Dinge? Gab es eine schwarze Kasse? Wenn ja: Wer hat von ihr gewusst? Und wozu diente das Geld?

Zunächst einmal der Vorwurf der schwarzen Kasse: Diese Geschichte muss man vom Ende her erzählen, denn fest steht, im Frühjahr 2005 gab es eine Zahlung des WM-Organisationskomitees (OK) über 6,7 Millionen Euro, die an Robert Louis-Dreyfus gehen sollten, der bis 2001 Adidas-Chef war (siehe Foto-Dokument, für die Großansicht bitte draufklicken). Getarnt war die Zahlungsanweisung als "Beitrag Kulturprogramm" der Fifa; der Fußball-Weltverband übernahm dann wohl auch die Abwicklung der Überweisung.

Schreiben des WM-Organisationskomitees an die Fifa: Getarnt als Beitrag Kulturprogramm

Schreiben des WM-Organisationskomitees an die Fifa: Getarnt als Beitrag Kulturprogramm

Foto: DER SPIEGEL

Warum zahlte das WM-OK über Umwege 6,7 Millionen Euro an Louis-Dreyfus? Weil er wohl mit genau dieser Summe in Vorleistung getreten war. Es gibt einen Schuldschein über diese Summe, offenbar unterschrieben von Franz Beckenbauer, dem damaligen OK-Chef. Bei der PK am Donnerstag präsentiert Niersbach dann eine wirre Erklärung für den Geldfluss. Er beruft sich dabei allein auf Auskünfte Beckenbauers, die dieser ihm in einem Gespräch am vergangenen Dienstag zu den Hintergründen der Zahlung gegeben haben soll (hier die Pressekonferenz im Wortlaut).

Die Version geht so: Fifa-Präsident Joseph Blatter habe Beckenbauer 2002 bei einem Vieraugengespräch einen Zuschuss der Fifa für die WM in Höhe von 170 Millionen Euro in Aussicht gestellt, ihn aber für die Abwicklung an die Finanzkommission der Fifa verwiesen. Später soll von dort die Forderung gekommen sein, dass das OK im Gegenzug 6,7 Millionen Euro zahlen müsse. Von wem genau diese Forderung kam, konnte Niersbach nicht sagen. Dafür wusste er, dass Louis-Dreyfus die 6,7 Millionen Euro für das OK an den Fußball-Weltverband überwies. Die Fifa widersprach Niersbachs Version umgehend. Und Belege für Beckenbauers Darstellungen, auch für den Zeitpunkt der Zahlung zwei Jahre nach der WM-Vergabe, gibt es bislang offenbar keine.

Video: Niersbachs Version zu den dubiosen 6,7 Millionen Euro

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Warum hat sich das OK die Millionen, wenn sie denn überhaupt nötig waren, nicht einfach beim DFB geliehen? Oder ganz normal bei einer Bank? Das konnte Niersbach nicht beantworten, wie so vieles nicht. Eigentlich hatte er überhaupt keine Antworten, nur in einem Punkt war sich Niersbach - warum auch immer - völlig sicher: "Es ist bei der WM-Vergabe 2006 alles mit rechten Dingen zugegangen. Es hat keine schwarzen Kassen gegeben, es hat keinen Stimmenkauf gegeben."

Es gibt aber (bislang) keine offiziellen Unterlagen, die einen legalen Fluss der 6,7 Millionen Euro von Louis-Dreyfus an irgendwen belegen. Dafür steht aber fest, dass das OK genau diese Summe, getarnt als "Beitrag Kulturprogramm", 2005 erneut auf ein Fifa-Konto überwies, um es an Louis-Dreyfus (zurück)zuzahlen.

DFB kann Zahlung an Louis-Dreyfus nicht schlüssig erklären

So besteht der schwerwiegende Verdacht: Hier wurden Mittel für illegitime Zwecke eingesetzt, sprich Korruption. Denn der DFB kann bis heute nicht schlüssig erklären, warum Louis-Dreyfus 6,7 Millionen Euro vom OK bekam, beziehungsweise wofür dieser den Betrag, der nun zurückfloss, zuvor offenbar verauslagt hatte. "Es ist eindeutig, dass es eine schwarze Kasse in der deutschen WM-Bewerbung gab", sagte der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger dem SPIEGEL (hier die ganze Geschichte im aktuellen SPIEGEL).

Zwanziger, damals Mitglied des WM-Organisationskomitees, war eine von zwei Personen, die die Zahlungsanweisung an Louis-Dreyfus 2005 unterschrieben. Er ahnte nach eigener Aussage, dass mit dieser Überweisung etwas nicht stimmte, wollte gut ein Jahr vor der WM aber keinen Skandal riskieren und zeichnete das Dokument ab. Heute sagt er: "Das war ein Fehler."

Video: Das sind die neuesten SPIEGEL-Enthüllungen

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Der andere Unterzeichner war der damalige DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt, ebenfalls Mitglied des OK. Auch Beckenbauer gehörte dem Gremium an - und Niersbach. Das ist wichtig zu wissen, weil der heutige DFB-Präsident mehrfach, auch bei der PK am Donnerstag, betonte, erst im vergangenen Sommer von dem Vorgang um die 6,7-Millionen-Zahlung erfahren zu haben.

Dem widerspricht Schmidt, der in einer persönlichen Erklärung mitteilte: "Ich habe erstmals im Herbst 2004 ... erfahren, dass Robert Louis-Dreyfus einen Anspruch gegen das OK des DFB in Höhe von 6,7 Mio. Euro haben soll. Ich hatte hiervon zuvor keine Kenntnis. Zeitnah habe ich die Mitglieder des OK-Präsidiums über diesen Sachverhalt informiert." Also Beckenbauer, Zwanziger und Niersbach. "So wie ich das sehe, lügt Niersbach", sagte Zwanziger dem SPIEGEL.

Indizien und Dokumente sprechen für eine schwarze Kasse

Bleibt festzuhalten: Alle Indizien und Dokumente sprechen dafür, dass rund um die WM-Vergabe eine schwarze Kasse eingerichtet wurde. Und die Mitglieder des vierköpfigen Organisationskomitees müssen spätestens Ende 2004 davon gewusst haben.

Aber wofür wurden die 6,7 Millionen Euro verwendet? Günter Netzer, ein enger Vertrauter des 2009 gestorbenen Louis-Dreyfus, soll Zwanziger gesagt haben, damit wurden die vier Stimmen der Asiaten im Fifa-Exekutivkomitee gekauft, die Deutschland dringend brauchte, um sich gegen Mitbewerber Südafrika durchzusetzen. Netzer bestreitet, so etwas gesagt zu haben.

Zudem sagt Zwanziger, er habe Schmidt in einem Telefonat vergangenen Dienstag gefragt, für wen die 6,7 Millionen Euro waren. Die Antwort soll Mohamed Bin Hammam gelautet haben, damals Mitglied im Exekutivkomitee und bekannt als Strippenzieher im asiatischen Raum. Es besteht der Verdacht, dass der Mann aus Katar mit Hilfe der Louis-Dreyfus-Millionen die Stimmen aus Asien gesichert hat. Bin Hammam erinnerte Beckenbauer in einer Mail Jahre später, in der er um Unterstützung für die WM 2022 in Katar warb, daran, dass er "geholfen habe, die asiatischen Stimmen für Deutschland zu sichern".

Weder Bin Hammam noch Beckenbauer antworteten auf SPIEGEL-Anfragen. Die Ethik-Kommission der Fifa hat ihre Ermittlungen gegen Beckenbauer inzwischen abgeschlossen und an die rechtsprechende Kammer weitergeleitet; es soll um die Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 (nach Russland) und 2022 (nach Katar) gehen.

Auch Niersbach oder der DFB äußerten sich nicht. Zweimal wurden sie vom SPIEGEL mit konkreten Fragen konfrontiert, jeweils vor Andruck der beiden vergangenen Hefte. Kurz vor Erscheinen der ersten Titelstory veröffentlichte der Verband eine seltsame Erklärung ; einen Tag vor der zweiten Titelstory lud der DFB von sich aus zu einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz ein. Es war die PK, die für Niersbach zum großen Eigentor werden sollte.