Wetterbilanz vom Sommer 2023 :
Und, wie war Ihr Sommer?

Von David Baldysiak
Lesezeit: 6 Min.
„Gute Stimmung“: Bademeisterin Talea Raabe im Freibad Nidda
Über Wochen hat es in Strömen geregnet, und trotzdem war es am Ende wieder zu heiß im Sommer 2023. Drei Menschen erzählen, wie es ihnen in den vergangenen drei Monaten erging.

Die Welt ist in diesen Tagen eine einzige Katastrophenmeldung: Waldbrände auf Rhodos oder in Kanada, Verwüstungen durch Hurrikane in Amerika, Überflutungen in Slowenien oder zuletzt in Griechenland, Hitzerekorde allüberall. Der Sommer 2023 war aus globaler Sicht der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen, bilanzierte der EU-Klimawandeldienst Copernicus Mitte der Woche. Extremwetterereignisse treten mittlerweile mit solcher Regelmäßigkeit auf, dass sie in einigen Jahren vielleicht gar nicht mehr so extrem sind.

Es ist noch nicht lange her, da sehnte man sich in Deutschland nach der wärmsten Zeit des Jahres: wenn die Sonne beginnt, die winterfahle Haut zu bräunen, wenn es wieder Freibadfritten gibt, wenn sich der Duft von Sonnencreme mit dem von Schweiß und Seewasser mischt. Das war jahrelang die Entschädigung für die Tristesse eines dauergrauen Himmels. In den Siebzigern sang Entertainer Rudi Carrell noch: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“

Nicht extrem, aber zu heiß

Solches Lamento hört man von niemandem mehr. Die vorläufige Bilanz des Deutschen Wetterdienstes (DWD) fällt für den Sommer 2023 so aus: Zum 27. Mal in Folge war es zu warm in Deutschland. Die Durchschnittstemperatur von Juni, Juli und August – dem meteorologischen Sommer – lag bei 18,6 Grad und damit 2,3 Grad über der Referenzperiode von 1961 bis 1990. Damit steht der Sommer in diesem Jahr auf Platz fünf der heißesten in Deutschland. Nicht so extrem wie 2003 oder 2018, aber doch: zu heiß.

Eher verregnet kam die Jahreszeit vielen im Land vor, und tatsächlich war der Niederschlag hierzulande überdurchschnittlich: 270 Liter pro Quadratmeter bedeuten ein Zehntel mehr Regen als in der Vergleichsperiode. Es waren wechselhafte Monate, in denen sich tropische Tage mit Starkregen abwechselten. „Wir können dem Klimawandel live zusehen“, bilanziert Uwe Kirsche vom DWD. Im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschland die Hitze trotzdem nur moderat zu spüren bekommen. Wie blicken die Deutschen also auf den zurückliegenden Sommer?

„Ein ganz normaler Sommer“: Klimatechniker Seitz
„Ein ganz normaler Sommer“: Klimatechniker SeitzFrank Röth

„Der ganz normale Wahnsinn“ sei es gewesen, sagt Talea Raabe. Die 24 Jahre alte Frau ist Bademeisterin im Freibad Nidda in Oberhessen, und sie meldet weitgehend: Routine. Zwar konnten sie die Saison wegen Fliesenarbeiten erst verspätet eröffnen, dann aber seien die Besucherzahlen durchschnittlich gewesen. Was nicht heißt, dass es gar keine Probleme gab, ganz praktische: „Vor allem Probleme mit Nichtschwimmern in Schwimmerbecken“, sagt sie. Der alte Schlag der Bademeister hätte die Nichtschwimmer früher einfach rausgeschmissen; heute werde mehr diskutiert.

Diskutiert wurde in diesem Sommer auch sonst viel über Freibäder; nachdem es im Berliner Columbiabad zu Ausschreitungen gekommen war, musste es vorübergehend geschlossen werden. Die Berliner Polizei errichtete eine mobile Wache, der Regierende Bürgermeister Kai Wegner besuchte das Bad, im Schlepptau Dutzende Journalisten.

Diese Probleme hat Raabe in Nidda nicht. „Wir sind hier ab vom Schuss der Kriminalität“, sagt sie. Das Bad sei familiär, ab und zu gebe es Jugendliche, die vielleicht ein bisschen respektlos seien, „aber damit kommen wir gut zurecht“. Seit einigen Jahren gibt es in der Ausbildung zum Bademeister (eigentlich: Fachangestellter für Bäderbetriebe) auch Seminare zum Konfliktmanagement. Am besten funktioniere das am praktischen Beispiel; da könne man sich filmen lassen und sehen, wie man auftrete, sagt Raabe. Wenn es hart auf hart komme, spreche man eben ein Hausverbot aus.

Alle waren happy

Und was ist mit Regen und Gewitter? „Bei Gewitter schicken wir die Leute natürlich raus“, sagt Raabe. Die meisten hätten aber ohnehin eine Wetter-App und blieben dann zu Hause. Der Regen dagegen mache den Stammschwimmern nichts aus, so Raabe: „Die kommen dann trotzdem.“ Insgesamt herrschte eine „gute Stimmung, die waren alle happy“.

Ganz unberührt von globalen Krisen ist aber auch das Freibad Nidda nicht geblieben. Immer weniger Kinder und Jugendliche können schwimmen. Während der Pandemie sind viele Kurse ausgefallen, die jungen Familien kommen nicht so nach wie früher. „Schwimmbad finden die langweilig, die zocken lieber.“

Trotzdem, es war ja doch heiß im Sommer. Wie verkraftet man das, wenn man den ganzen Tag draußen arbeitet, den anderen bei der Erfrischung zusehen muss? Schatten und Eincremen seien Pflicht, doch immer helfe das nicht, so Raabe: „Also, Kopfschmerzen hatten wir alle. Aber wir müssen einen kühlen Kopf bewahren am Beckenrand.“

Eine Klimaanlage ist vielleicht irgendwann kein Luxus mehr

Für einen kühlen Kopf sorgt auch Thorsten Seitz. Der 46-Jährige ist Geschäftsführer der AC Service GmbH & Co. KG in Heusenstamm, die auf Klimaanlagen spezialisiert ist. Bei fortdauernd hohen Temperaturen laufen bei ihm die Telefone heiß. „Der Sommer kommt, wie Weihnachten, natürlich immer unverhofft“, scherzt er trocken. 20 Prozent weniger Aufträge als im vergangenen Jahr habe er in diesem Sommer allerdings gehabt, „weil es nicht lange genug am Stück heiß war“.

Ein weiterer Grund für den Rückgang der Aufträge sei das Nachlassen des Sondereffekts Corona: Wer im Homeoffice schwitzt, der kommt schneller zu der Erkenntnis, dass eine Klimaanlage eine lohnende Investition ins eigene Wohlbefinden sein könnte. „Wenn man sein ganzes Berufsleben durch die Welt reist und immer in klimatisierten Hotelzimmern schläft, dann wünscht man sich das auch fürs eigene Schlafzimmer.“

Seine Kunden seien vor allem ältere Leute, „die ihr Häuschen abbezahlt haben und sich noch mal was gönnen möchten. Gehobener Mittelstand eben.“ Fraglich, ob das so bleibt: Steigen die Temperaturen weiter, dann ist eine Klimaanlage irgendwann vielleicht kein Luxus mehr, sondern eine Notwendigkeit. Manche Regionen in der Welt konnten erst durch die Erfindung der Klimaanlage an die moderne Arbeitswelt angeschlossen werden. In den USA ist das air conditioning allgegenwärtig.

Die Klimaanlage: eine Wärmepumpe

In Deutschland war die Klimaanlage ein Politikum, allerdings ohne dass die meisten das wussten: Das Heizungsgesetz, über das die Ampelkoalition monatelang stritt – „die meisten Kunden haben das nicht auf dem Schirm, dass das einfach eine Wärmepumpe ist“, sagt Seitz. Im Winter heizen, im Sommer kühlen, das sei die klassische Wärmepumpentechnologie. Zu politischen Debatten will er sich als Unternehmer nicht äußern. Dass die Klimaanlage ein Alltagsgegenstand werde könnte, davon geht Seitz aber aus: „Mittlerweile hat jeder Neuwagen eine Klimaanlage, das gab es früher nicht. Gewerbeflächen sind inzwischen fast alle klimatisiert. Und jetzt kommt der Privatkunde langsam dazu.“

Für seine Mitarbeiter kann die Hitze dabei zur Last werden: „Der Kälteanlagenbauer hat das klassische Problem, dass er kommt, wenn es warm ist. Und wenn es dann kühl ist, dann hat er nichts mehr davon.“ Dass sich das Klima verändert, daran müssen sich auch Seitz und seine Kollegen anpassen, indem sie die Anlagen anders auslegen. „Wir merken schon, dass es zwei oder drei Grad wärmer ist.“ Trotzdem, für Seitz war 2023 „ein ganz normaler Sommer“.

„Der Regen war Gold wert“: Landwirt Michael Schneller unter Zuckerrüben
„Der Regen war Gold wert“: Landwirt Michael Schneller unter ZuckerrübenFrank Röth

Michael Schneller hat keine Klimaanlage, aber eine eigene Wetterstation. Schneller ist Landwirt, hat einen Hof von etwa 125 Hektar im Niddatal, seine Erträge sind abhängig von der Witterung. Für die Landwirte war der Sommer Fluch und Segen zugleich. „Für Grünland, Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln war der Regen Gold wert“, sagt Schneller. Andere Arten hatten es schwerer.

Natürlich gibt es beim Wetter lokale Unterschiede. Für den größten Teil von Deutschland gilt jedoch: Es war ein Sommer mit großen Schwankungen. Wochen mit tropischer Hitze und wenig Niederschlag wurden von Dauerregen abgelöst. Für die Landwirtschaft ist das nicht ideal: „Die Anpassung ist nicht ganz einfach. Das, was im einen Jahr gut ist, ist im anderen Jahr wieder verkehrt“, sagt Schneller. Es sei wichtig, das Risiko von Ernteausfällen zu streuen, etwa indem man mehr Kulturen und Fruchtfolgen anbaue.

Ein Sommer wie jeder andere?

Wie der ideale Sommer aussehen sollte, das kann der Landwirt nicht beantworten. „Es ist gut, dass wir das Wetter nicht selbst machen können“, sagt Schneller. „Wenn man alles zusammennimmt, Temperatur und Regenmenge, könnte man sagen: Es ist fast ein Durchschnittssommer. Das Problem ist, dass wir zwei Monate fast ohne Niederschlag hatten und dann sechs Wochen Dauerregen.“ Sowohl die Trocken- als auch die Regenphasen seien in den letzten Jahren dauerhafter. „Es ist wichtig, einen Wetterwechsel zu haben.“ Sorgen um die nächsten Jahre macht er sich, auch wenn der Sommer in diesem Jahr insgesamt durchschnittliche Erträge gebracht hat: „Wir spüren die Erwärmung, wir haben immer öfter extrem warme Sommer, da fühlt sich irgendwann keine Pflanze mehr wohl in unseren Breiten, und da fühlen auch wir uns nicht wohl.“ Die Anlage anpassen, eine andere Fruchtfolge, all das klingt lapidar im Angesicht einer Menschheitsherausforderung.

Wie fällt es also aus, das Fazit des Sommers 2023 in Deutschland? Die Regierung hat sich gestritten, Berlin hat eine Löwin gesucht und ein Wildschwein gefunden, eine Fußballnationalmannschaft ist in der Gruppenphase ausgeschieden. Ein Sommer wie jeder andere also? Vermutlich war es einer der letzten, in dem wir über das Wetter vor allem reden, wenn uns die anderen Themen ausgegangen sind. Vermutlich wird sich das Wetter – selbst wenn es 2023 in Deutschland nicht so extrem war wie in früheren Jahren und für uns nicht so katastrophal ausfiel wie für Menschen in Slowenien oder Griechenland – in Zukunft noch lebenswichtiger anfühlen.