Philosophischer Alltag:Das Erotik-Problem

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Schon Sokrates hatte ein Sex-Problem, seine Xanthippe wollte nicht mehr. Aber wie kommt die Lust zurück? Leider hat Wilhelm Schmid auch keine Lösung.

Von Anne Backhaus

Es ist wahrlich nicht einfach, anständig über Sex zu schreiben. Das gilt nicht nur für Journalisten. Selbst große Schriftsteller ergehen sich gelegentlich in Klischees und bringen nichts ahnende Leser, die sich eben noch in der U-Bahn mit ihren Bestsellern von dem Handylektüre-Pöbel absetzten, in Erklärungsnot. Kaum wird umgeblättert, liest der Sitznachbar die einzige prekäre Stelle im gesamten Wälzer mit. Von prallem Pochen und nasser Nähe gefüllte Seiten lassen den Leser schließlich allein auf dem Bahnsitz zurück.

Über Sex geredet wird in Gemeinschaft hingegen gerne, nur das leidige Tabuthema Sexmangel sparen Betroffene lieber aus. Der Glamourfaktor ist niedrig. Gibt also keiner gerne zu, dass er es mal wieder nötig hätte. Diesem in der Menschheitsgeschichte sicher nicht neuen Problem, hat sich der selbsternannte "Lebenskunstphilosoph" Wilhelm Schmid angenommen und gleich auch noch ein neues Wort dafür ausgedacht: "Sexout" ist der Titel seines Ratgeberbüchleins. Das "Aussetzen von Sex" ist für Alltagsphilosophen ein alter Hut, erlebte doch schon Sokrates eine Flaute in seinen Laken. Ehefrau Xanthippe wies den schmachtenden Denker zurück. Schmid, Jahrgang 1953, bezieht sich in seiner Einführung auf das historische Paar und bleibt sodann ebenjener Rollenaufteilung verhaftet. Der Mann will, die Frau eher nicht und der Autor sucht in zehn Kapiteln "mögliche Antworten auf die eine Frage, was sich aus dieser Situation machen lässt."

Die bleiben jedoch mehr als vage. Dafür zieht sich die Sexlosigkeit so zäh durch das Büchlein wie durch das Leben der notdürftig eingeführten Durchschnittspaare. Schmid, der bisher erfrischend kurzweilig und zuweilen sogar elegant über Gelassenheit und Liebe geschrieben hat, umkreist sein neues Thema ein wenig ermattet. Um die handelsüblichen Ratgebertipps zu vermeiden und dem Thema etwas Tiefgang zu verleihen, formuliert er vage: "Die Philosophie hilft aus dem Sexout heraus, denn sie ist eine Ermutigung zum Versuch des Verstehens". Generell geht es viel um Verständnis, was natürlich immer sinnvoll und gut, letztlich aber null sexy ist. Vor allem nicht im Sinne des Autors, der mit seinem Rollenverständnis in der Paarbeziehung und den Ansichten zur Lust der Frau wie ein etwas aus der Zeit gefallener Liebestöter wirkt.

Schließlich unterscheidet Schmid gar "Sex im weiteren Sinne" von dem "engeren", und spätestens da zeigt sich, was wir eigentlich an unseren Bestsellerautoren haben. Denn Schmid formuliert zugleich anzüglich und kreuzbrav ein mögliches Entgegenkommen in der Paargemeinschaft, bei dem sich die Frau dem willigen Mann zu Verfügung stellt und dieser sich, quasi im Gegenzug, endlich einmal mit ihrer Klitoris beschäftigt, um "den Mund auf etwas andere Weise voll zu nehmen."

So hat der Ratgeber schlussendlich doch noch sein Gutes. Sexuelle Leerstellen im eigenen Alltag scheinen so manchem nach der Lektüre höchstwahrscheinlich erfrischend unbeleckt zu sein.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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