Angsträume

Wenn sich der Heimweg nicht mehr sicher anfühlt

06:21 Minuten
Eine verwinkelte Tiefgarage mit vereinzelten Autos darin.
Dunkle, verwinkelte und halb leere Tiefgaragen sind gewissermaßen der Klassiker unter den Angsträumen. © Getty Images / D&C Photography
Von Lucca Pizzato · 05.01.2023
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Dunkle Straßen, verwinkelte Tiefgaragen, leere Plätze: Ganz bestimmte Orte können zum Fürchten sein. In der Forschung heißen sie Angsträume und vor allem Frauen betrifft das Gefühl von Unsicherheit in der Öffentlichkeit. Wie lässt sich das ändern?
Autos fahren gemütlich über das Kopfsteinpflaster, Spaziergänger führen ihre Hunde über den Grünstreifen und vom nahe gelegenen Spielplatz hört man spielende Kinder. Tagsüber eine belebte Ecke, am Abend ist die Grüntaler Straße in Berlin-Wedding dagegen menschenleer. Das Problem sind die vom Bezirk installierten Gaslampen. Sie erhellen zwar die Straße, die Gehwege bleiben dabei aber im Dunkeln.
„Zur Winterzeit fühlt es sich nicht gut an, hier nachts oder abends unterwegs zu sein. Es ist immer schön, sich nicht alleine auf den Straßen hier zu bewegen“, erzählt Olivia Kossobucki vom interkulturellen Zentrum Mädea, das Hausaufgabenhilfe und Freizeitprojekte für Mädchen und junge Frauen anbietet.
Seit dem Umzug in die Grüntalerstraße ist die mangelhafte Belichtung eine zusätzliche Belastung für die Kinder, aber auch für die Angestellten, wie Olivia Kossobucki beschreibt.
„Erst mal gehen wir oft zusammen mit denen nach Hause. Viele bleiben dann auch extra so lange wie wir da sind, also die Mitarbeiterinnen, damit wir dann zusammengehen können. Das ist dann für alle natürlich auch gut“, sagt sie.

Protest für bessere Beleuchtung der Straßen

Und doch ist das kein Dauerzustand: Unter dem Motto „Mehr Licht in unsere Straße“ demonstrierte das Team rund um Mädea vergangenen November für eine bessere Beleuchtung und damit für ein größeres Sicherheitsgefühl in ihrem Viertel.
Die Grüntaler Straße ist dabei nur eines von vielen Beispielen für Angsträume. So nennt man Orte im öffentlichen Raum, wo sich viele Menschen nicht sicher fühlen. Das können schlecht einsehbare Unterführungen sein, düstere Stadtparks oder eben kaum ausgeleuchtete Straßen.
Diesen Winter waren viele Straßen besonders dunkel. Licht sparen in der Energiekrise, war das Credo vieler Städte.
„Ich finde die Vorschläge, dass man einfach so die Straßenlaternen abdunkelt besonders problematisch. Weil wir sehen, dass diese Vorschläge mit einer Genderblindheit zusammenhängen. Genderblindheit ist ein Begriff, um darzulegen, dass Gender nicht berücksichtigt wurde. Und wenn ich von vor allem männlichen Planungskräften höre, dass man einfach so die Straßenlaternen abdunkeln könnte. Dann denke ich einfach für mich: Sie fühlen keine Angst auf der Straße. Aber ich spüre es“, erklärt Mary Dellenbaugh-Losse.
Die gebürtige Amerikanerin ist Doktorin der Humangeografie und arbeitet als Beraterin gemeinsam mit Kommunen für eine gemeinwohlorientierte Stadtplanung.

Eine meiner Spezialitäten bei der Arbeit ist die gendergerechte Stadtentwicklung. Ich berate Kommunen dazu, die Förderung von Frauen und Mädchenperspektiven besser einzubetten. Das heißt nicht nur Zugänglichkeit, sondern auch Sachen wie Sicherheit und verspürte Angst. Das ist besonders wichtig, weil Frauen und Mädchen sollen sich genauso wohl fühlen in unseren Städten wie Männer und Jungs.

Mary Dellenbaugh-Losse, Humangeografin

Frauen sind besonders betroffen

Im November 2022 veröffentlichte das Bundeskriminalamt eine repräsentative Bevölkerungsbefragung über „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ mit 47.000 Teilnehmenden. Das Ergebnis: Vor allem Frauen sind betroffen von Unsicherheit und ändern deshalb ihr Verhalten im öffentlichen Raum. So vermeidet mindestens jede zweite Frau am Abend bestimmte Orte.
„Das führt dann zu einem Teufelskreis. Denn diese Orte sind dann menschenleer und fühlen sich noch ängstlicher an. Das heißt aber auch im Umkehrschluss, wenn wir gucken, wer Angst verspürt. Sie nehmen längere Wege auf sich und das kann problematisch sein. Weil das heißt, dass diese Menschen viel längere Wege haben und dadurch vielleicht tatsächlich anderen Bedrohungen ausgesetzt sind“, erklärt Mary Dellenbaugh-Losse.
Angsträume zu beseitigen, hat sich ein Projekt in der kleinen Gemeinde Buchholz in der Nordheide in Niedersachsen vorgenommen. Durch Bürgerbefragungen wurden Angsträume zuerst ausfindig gemacht. Und anschließend wurden diese von einem Kompetenzteam aus Bürgern und Vertreterinnen der Stadt begangen, um gemeinsam Lösungen für die Orte zu entwickeln.

Initiative gegen Angsträume

„Wünschenswert wäre bei der Planung von Räumen die Angsträume ausmachen, dass gewisse Aspekte gleich mitgedacht werden. Also freie Sichtachsen, dass es keine versteckten Ecken gibt, ausreichend Beleuchtung, gute Beschilderung“, sagt Jasmin Eisenhut.

Wichtig ist aber auch, dass die soziale Kontrolle da ist, dass viele Menschen nach Möglichkeit dort unterwegs sind. Das gelingt häufig nur durch eine allgemeine Belebung der Innenstadt durch Ansiedlung von Restaurants, Freizeitmöglichkeiten, Kinos und so weiter.

Jasmin Eisenhut, Gleichstellungsbeauftragte

Die Gleichstellungsbeauftragte Jasmin Eisenhut ist Mitinitiatorin des Projekts. Für sie sind Angsträume aber nicht nur ein stadtplanerisches Problem. Alle Bürger und Bürgerinnen seien dafür verantwortlich, dass man sich in der Stadt wohlfühle. Betroffene müssen deshalb zwar unterstützt, Nicht-Betroffene aber im gleichen Maße sensibilisiert werden.

Bewusstsein in der Gesellschaft stärken

Zurück nach Berlin: Auch Olivia Kossobucki von Mädea wünscht sich neben einem klaren politischen Willen, ein insgesamt größeres Bewusstsein für das Thema.

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„Wenn ich nach Hause laufe als Mann und vor mir läuft eine Frau, dann das Bewusstsein dafür zu haben, dass die Person vielleicht gerade Angst hat. Dass man dann vielleicht als Mann ein bisschen langsamer läuft oder vielleicht mal die Kapuze abnimmt oder die Straßenseite wechselt. Oder einfach, wenn ein Bewusstsein dafür da wäre, dass manche Personen Angst haben, würde das die gesamte Situation schon ein bisschen verbessern.“
Dass Frauen überhaupt Angst vor Gewalt im öffentlichen Raum haben müssen, ist wohl das eigentliche Problem. Insofern sind städtebauliche Maßnahmen und individuelle Rücksichtnahme letztlich also nur Symptombekämpfung. Wichtig sind sie am Ende trotzdem.
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