Israel:Kampf um die Demokratie

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Rosa Front: Auch in Tel Aviv gingen am Wochenende wieder Tausende Menschen gegen die geplante Justizreform auf die Straße. (Foto: Corinna Kern/Reuters)

Showdown im Streit um die Justizreform: Die Knesset ist kurz vor der Abstimmung, die Massenproteste spitzen sich zu, die Armee-Reservisten wollen den Dienst verweigern - und Premier Netanjahu erholt sich von einer Herz-OP. Macht er erneut einen Rückzieher?

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die erste wichtige politische Nachricht des Sonntags kam aus einem Krankenhaus: Dem Premierminister gehe es gut, hieß es, man habe ihm in der Nacht ohne Komplikationen einen Herzschrittmacher implantiert. Mitten in der wohl größten innenpolitischen Krise Israels war also auch noch der Regierungschef kurz aus dem Rhythmus geraten. Doch gleich an diesem Montag will er die Amtsgeschäfte wieder aufnehmen, pünktlich zum Finale im Kampf um das erste Gesetz der von seiner Koalition geplanten Justizreform. Der Kapitän will auf der Brücke stehen, wenn draußen die Stürme des Protests toben.

Israels Politikbetrieb ist harte Kämpfe gewohnt, doch eine solche Zuspitzung wie in diesen Tagen ist auch für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich: Die rechts-religiöse Regierung steht einer breitgefächerten Protestfront gegenüber, die den geplanten Umbau der Justiz als Angriff auf die Demokratie versteht und deshalb mit aller Kraft verhindern will. Seit Monaten schon gehen Hunderttausende auf die Straße, vor allem in Tel Aviv. Doch jetzt kulminiert der Protest in Jerusalem, rund um die Knesset, wo ein auf bis zu 70 000 Teilnehmer angeschwollener Protestzug am Samstagabend angekommen war. Dort wollen die Demonstranten ausharren, während drinnen die Abgeordneten reden, ringen und irgendwann wahrscheinlich abstimmen.

Pünktlich um zehn Uhr begann am Sonntagmorgen die Sondersitzung des Parlaments zur Debatte um jenes Gesetz, das dem Obersten Gericht das Recht nehmen soll, Entscheidungen der Regierung als "unangemessen" zurückzuweisen. Es wäre die erste Schwächung der Justiz, eine Verschiebung der Gewaltenteilung hin zur Regierung, ein erster Stein, der aus der Mauer gebrochen wird.

Die Opposition sieht im geplanten Umbau der Justiz die Zerstörung des Landes

Die Sitzung könnte also historisch werden, mindestens bis Montagmittag soll debattiert werden, bevor dann das Gesetz in zweiter und dritter Lesung endgültig verabschiedet wird. Den Ton gab die Opposition gleich am Anfang vor: "Ihr habt Israel zerstört", schallt es aus ihren Reihen den Regierungsabgeordneten entgegen.

Doch selbst inmitten dieses erbitterten Streits läuft immer noch die Suche nach einem Kompromiss in allerletzter Minute, nach einer Formel, die in dieser aufgeheizten Lage vielleicht doch noch den Druck aus dem Kessel nehmen könnte. Netanjahu hat das noch einmal selbst bestätigt, da war er wohl schon auf dem Weg in den OP-Raum. In der Nacht nahm er noch ein Video auf, in dem er nicht nur kundtat, dass es ihm trotz des bevorstehenden Eingriffs "ausgezeichnet" gehe. Er versicherte auch: "Die Bemühungen um eine umfassende Einigung gehen weiter."

Den Anstoß dazu hatte zuvor sein Verteidigungsminister Joaw Gallant gegeben. Am Freitagabend um 21.55 Uhr veröffentlichte sein Ministerium eine knappe Erklärung des Inhalts, dass Gallant nun "Maßnahmen ergreift, um einen breiten Konsens zu erreichen und die Sicherheit des Staates Israel zu gewährleisten". Dass er dies am Abend des Schabbat kundtat, an dem sonst wirklich alles ruht, zeigt die Brisanz der Lage. Der Minister schaltet sich ein, weil der Konflikt um die Justizreform auch die Armee bereits voll erwischt hat. Es ist der Versuch einer Rettungsmission an der Heimatfront.

Gallant hatte sich schon einmal aus der Deckung gewagt und für einen Dialog geworben - das war Ende März, und er hatte damit einiges in Bewegung gebracht: Netanjahu hatte ihn wütend entlassen, der Protest war daraufhin eskaliert bis hin zu einem Generalstreik. Am Ende musste der Premier einknicken. Gallant blieb im Amt, die Justizreform wurde vorläufig auf Eis gelegt. Die Frage ist nun: Wird sich die Geschichte wiederholen? Oder kommt Gallant zu spät?

Reservisten der Luftwaffe drohen, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen

Auslöser seiner Intervention war ein am Freitag veröffentlichter Brief von mehr als 1100 Reserveoffizieren der Luftwaffe, der Schockwellen durch das ganze Land geschickt hat. Denn die Offiziere drohen damit, im Fall einer Verabschiedung des Gesetzes nicht mehr zum Reservedienst zu erscheinen. Die Luftwaffe ist nicht nur der Stolz des Landes, sondern auch das Rückgrat seiner Verteidigung. Eine Verweigerungswelle in dieser unvergleichlichen Dimension stellt also unmittelbar die Einsatzbereitschaft der Armee infrage.

Die Luftwaffen-Offiziere waren zudem nur die Initialzündung. Es folgte am Samstag eine Erklärung von 10 000 weiteren Reservisten, die nicht mehr zum Dienst erscheinen wollen. Die Armeeführung muss alarmiert sein, und diesen Alarm hatte sie offenkundig an Verteidigungsminister Gallant herangetragen.

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Noch einmal enorm gestiegen ist zugleich der Druck, der von der Straße aus auf die Regierung ausgeübt wird. Nach einem ruppigen "Tag des Widerstands" mit landesweiten Demonstrationen und Straßenblockaden hatten sich am Dienstagabend ein paar Hundert Menschen formiert zu einem Fußmarsch von Tel Aviv hoch ins knapp 70 Kilometer entfernte Jerusalem. Es wurde daraus ein Marsch der Massen, die nun in Jerusalem Flagge zeigen. Zigtausende blau-weiß israelische Flaggen.

Bei der Entscheidung, ob er womöglich doch noch einmal in letzter Minute das erste Gesetz der Justizreform zurückzieht, steht Netanjahu jedoch nicht nur unter dem Druck der Protestbewegung. Den Ton mächtig verschärft haben auch seine rechtsextremen Koalitionspartner, die auf eine Umsetzung der Pläne bestehen. Finanzminister Bezalel Smotrich warnte eindringlich davor, sich vom Druck aus der Armee beeindrucken zu lassen. "Ein Land, dass sich den Drohungen der Generäle unterwirft, wird tatsächlich zu einem Land, das von einer Militärjunta regiert wird", erklärte er.

Am Sonntag hielten Gegner und Befürworter der Justizreform noch ein gemeinsames Gebet für die Einheit Israels an der Klagemauer ab. Ein seltenes Zeichen der Verbundenheit in diesen Tagen. Doch bald darauf wurde schon wieder die Polarisierung deutlich, die Schärfe dieses Konflikts. Die Regierungsgegner machten rund um die Knesset mobil. Die Anhänger der Justizreform hatten zur Großdemonstration in Tel Aviv aufgerufen.

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