Als vor zwei Jahren die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) bestimmte, dass auf den Meeren weniger Sulfat ausgestoßen werden solle, ging es vornehmlich um eine Verbesserung der Luftqualität. Schließlich schadet die Verbrennung von Rohöl in der Schifffahrt – und damit auch die Freisetzung schwefelhaltiger Verbindungen – dem Menschen und der Umwelt.

Mittlerweile ist die Luft über den Seefahrtkorridoren reiner, doch der teils dicht befahrene Nordatlantik so warm wie nie zuvor. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Vielleicht mehr, als bisher angenommen wurde, zumindest ist das eine viel diskutierte Hypothese der vergangenen Wochen und Monate aus der Forschung.

Schwefel ist fast immer in fossilen Emissionen

Wenn Kohle, Benzin oder Rohöl verbrannt werden, setzt das nicht nur klimaschädliches CO₂ frei, sondern auch Schwefel. Der wiederum steigt als gesundheitsschädliches Sulfat in die Atmosphäre auf. Erhöht sich der Sulfatgehalt, wird sauerer Regen wahrscheinlicher. Die kleinen Partikel können aber ebenso Sonnenstrahlen reflektieren oder streuen. Für das Klima bedeutet das eine kurzfristige Kühlung, denn diese Aerosole schirmen die Wärme der Sonne ab. Ähnliche Auswirkungen kennt man von Vulkanausbrüchen oder Waldbränden. Und weil Schwefeloxide nur relativ kurz in der Atmosphäre verweilen, wirken sie vor allem dort, wo sie entstehen.

Rohöl für Frachtschiffe enthält zudem vergleichsweise viel Schwefel, der mittlerweile entweder direkt im Treibstoff reduziert oder bei der Verbrennung aus dem Abgas auf den Schiffen herausgefiltert wird. Das Phänomen, dass Abgase oder Vulkanasche das Klima kühlen, ist nicht neu und wird beispielsweise in Klimamodellen schon lange mitgedacht. Und es ist jetzt schon klar: In einer klimaneutralen Welt mit nur geringen Restemissionen werden diese das Klima wenig kühlen. Gleichzeitig wird die wärmende Wirkung der Treibhausgase von heute und morgen, weil sie so lange in der Atmosphäre verweilen, weiter anhalten.

Das Problem für Wissenschaftlerinnen und ihre Klimaprojektionen ist, dass niemand weiß, welchen Anteil die schwefeligen Partikel an der Erderwärmungsbilanz haben. Denn wie groß ihr kurzfristig und regional kühlender Effekt wirklich ist, lässt sich kaum abschätzen. Er muss zudem ins Verhältnis gesetzt werden zu den deutlich länger in der Atmosphäre verweilenden Treibhausgasen. Die Aerosolkühlung ist also ziemlich unberechenbar (IPCC: Sechster Sachstandsbericht, Abbildung 7.7)

Dem Ozean fehlt die Verdunstung

"Verglichen mit dem erwärmenden Effekt, den Kohlendioxid auf das Klima hat, sind die Auswirkungen von Aerosolen vielfältig, heterogen und situationsabhängig", sagt Bjorn Stevens, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie. "Es ist sehr schwierig, sie mit großer Sicherheit zu quantifizieren." Nach allem, was die Wissenschaft wisse, sagt der Atmosphärenforscher, erwarte man keine großen Nettoeffekte, wenn die Sulfatemissionen sänken. Deshalb wundert er sich über die Diskussion, dass Aerosole eine wichtige Rolle bei der Ozeanerwärmung haben sollen. Die Hauptgründe, warum es so warm ist, seien der Klimawandel, ein starker El Niño und die schwachen Passatwinde im Nordatlantik. 

Weil das Azorenhoch, ein wichtiges Hochdrucksystem über dem Atlantik, sehr viel schwächer ist als gewöhnlich, sind auch die Winde, die es umfließen, weniger stark. Allein deshalb heizt sich der Ozean schon auf: Die Verdunstung fehlt. Die Winde kühlen den Ozean, so wie ein Ventilator die Haut an einem heißen Tag. Und je stärker der Wind, desto stärker ist auch die Verdunstung. 

Langsame Winde sorgen außerdem dafür, dass sich das Wasser im Ozean weniger vermischt und die kalten Wassermassen aus der Tiefe die Oberfläche nicht mehr erreichen. Weniger Winde transportieren auch weniger Sahara-Staub, der sonst ebenso zum kühlenden Aerosoleffekt beiträgt. "Viele mögen die Erklärung, dass das Fehlen der Aerosole schuld ist an der Erwärmung", sagt Stevens. "Es gibt uns das Gefühl, wir könnten das Klima kontrollieren und öffnet die Türen für die Debatte über Geoengineering." Denn wenn weniger Aerosol das Klima aufheizt, könnten mehr Partikel das Klima kühlen? 

Mit Feinstpartikeln könnte man auch das Klima absichtlich kühlen

Schon lange gibt es derlei Experimente. Start-ups und Staaten wie China bringen Aerosole in die Atmosphäre und testen ihren Effekt – Solar Radiation Management (SRM) wird die Technik genannt. Längst ist das Narrativ entstanden, dass durch die Sulfatbeschränkung in der Schifffahrt ein riesiges unbeabsichtigtes Geoengineering-Experiment ausgelöst wurde. 

"Solche Ideen können den Menschen falsche Hoffnungen machen, wir könnten das Klima beeinflussen wie eine Klimaanlage im Haus", sagt Stevens. "Ich glaube, diese Art von Geoengineering ist eine schöne Geschichte, die sich manche erzählen, um nachts besser schlafen zu können." Dabei ist klar, was gegen die Klimakrise helfe: die radikale Senkung der Emissionen. Dieser Mechanismus ist sehr gut verstanden – im Gegensatz zu den Folgen und der Effizienz von Geoengineering-Maßnahmen. Anstatt am Klima mithilfe von Technik und viel Geld herumzudoktern, sollten sich alle darauf konzentrieren, den CO₂-Ausstoß zu verringern und zu vermeiden.