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Wasserspar-Irrsinn lässt Deutschlands Städte stinken

Berliner Kanalisation: Wenn hier Ebbe herrscht, fängt es an zu stinken Berliner Kanalisation: Wenn hier Ebbe herrscht, fängt es an zu stinken
Berliner Kanalisation: Wenn hier Ebbe herrscht, fängt es an zu stinken
Quelle: Amin Akhtar
Deutschland hat Wasser im Überfluss – doch die Verbraucher sparen, was das Zeug hält. Das führt gerade im Sommer dazu, dass es in den Städten bestialisch stinkt. Die Lösung wäre eine Wasser-Flatrate.

Das Sparen der Deutschen beim Wasserverbrauch wirkt sich auf die Preise aus. Noch 1991 verbrauchte ein jeder nach Angaben des Umweltbundesamtes pro Tag im Durchschnitt 143 Liter zum Duschen, Putzen, Kochen oder Trinken. Schon knapp 20 Jahre später waren es 23 Liter weniger, was etwa dem Inhalt von zwei haushaltsüblichen Eimern entspricht.

„Jeder Tropfen zählt“: Lange Zeit mahnten so Umweltschützer oder kirchliche Gruppen zum sorgsamen Umgang mit Wasser, das zeigte Erfolg. Heute waschen viele im Sparprogramm, benutzen spezielle Duschköpfe, die Regentonne im Garten oder den Spülstopp in der Toilette für das kleine Geschäft.

Wassersparen sollte sich segensreich auf den Geldbeutel und das Gewissen auswirken, doch hat sich der Hang zum Sparen stattdessen zum Preistreiber entwickelt: Weniger Wasser bedeutet weniger Durchfluss in den Rohren, und das führt zu Problemen in den Leitungen und Abwasserkanälen. Um Rückstände auszuspülen, müssen die Wasserversorger nachhelfen. In vielen Regionen wird für diesen Extraspülgang Trinkwasser eingesetzt, und das kostet viel Geld.

Außerdem bildet sich Gas, das den Beton der Leitungen angreift. Sind die Rohre nicht ausgelastet, fängt die Kanalisation an zu stinken, erklärt Hans-Georg Frede, emeritierter Professor am Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der Universität Gießen.

So würden Experten diskutieren, ob eine Wasser-Flatrate für Privathaushalte nicht mehr Sinn machen würde, als Wasser in Trinkwasserqualität durch die Leitungen zu spülen, sagt Frede.

„Wassersparen wird teuer“

„Trinkwasser ist in Deutschland eine heilige Kuh“, sagt Jürgen Leist vom Hannoveraner Umwelt-Institut Ecolog. Wasser sei im Überfluss vorhanden – das Sparen ist für Leist kostspieliger Unsinn. „Wassersparen wird teuer. Die Preise sind gestiegen, weil die Trink- und Abwasserrohre durchgespült werden müssen“, erklärt er. Andererseits explodiere der Verbrauch von industriell abgefülltem Flaschenwasser, obwohl das ökologisch viel bedenklicher sei.

„Zum Schutz der natürlichen Ressourcen ist ein bedachter Umgang zu empfehlen. Aber wenn wir hier bei uns in Nordeuropa zehn Liter sparen, so haben die Menschen im Süden Europas oder in Afrika dadurch nicht einen Tropfen mehr“, sagt Angela Dittmer, Sprecherin des Energieversorgers SWB.

„Das Wasser wird ohnehin nur gebraucht und nicht verbraucht, die Ressource ist in einem ewigen Kreislauf.“ Darum sei es wichtig, keine Giftstoffe einzubringen.

„Konzentriertes Abwasser“

„Auch in der Kläranlage kommt konzentrierteres Abwasser an“, sagt Axel Frerichs, Bereichsleiter Leitungswesen des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes (OOWV), zu den Folgen des Sparens.

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„In Hannover ist der Wasserverbrauch seit den 1970er-Jahren um ein Drittel gesunken – von 60 Millionen Kubikmeter auf 40 Millionen“, sagt Carlo Kallen von den Stadtwerken der Landeshauptstadt. „Dadurch fließt das Wasser hier erheblich langsamer“, warnt Helmut Lemke von der Stadtentwässerung, Feststoffe setzten sich ab. Dazu gehörten etwa Essensreste, Binden, Kondome, Tampons und Windeln, aber auch Gebisse, Personalausweise oder tote Haustiere wie Hamster oder Meerschweinchen.

„Außerdem entstehen dadurch Faulgase, die dann aus den Schachtabdeckungen stinken“, beklagt Lemke. In einigen Stadtteilen sei das ein markantes Problem, das zur Störung bei Anwohnern führe. „Beim großen Geschäft lieber zwei Mal spülen, damit es auch zum Klärwerk kommt“, rät Lemke.

dpa/lw

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