Sam Altman war die vergangenen Wochen auf Welttournee. Der CEO von OpenAI, jener Firma, die unter anderem ChatGPT entwickelt, traf sich mit Politikern, Journalistinnen, Wirtschaftsvertretern und Studentinnen und sprach über die Zukunft und die Gefahren von künstlicher Intelligenz. Worüber Altman nur am Rande sprach, war sein zweites großes Projekt, das er außerhalb von OpenAI betreibt: die Digitalwährung Worldcoin.

"Der Rollout beginnt heute", hieß es am Montag ohne viel Tamtam auf der Website des Projekts. Nachdem Worldcoin seit einigen Monaten in einer Betaphase steckte, steht die App nun zum Download bereit und die entsprechende Kryptowährung mit dem Kürzel WLD kann ab sofort gehandelt werden.

Worldcoin soll aber nicht nur eine weitere digitale Währung sein. Über die sogenannte World ID sollen sich Menschen mithilfe von Iris-Scans, die über ein eigens entwickeltes Gerät namens Orb erfasst werden, verifizieren und im Zeitalter von KI als Mensch ausweisen können. Die Kryptowährung wiederum soll die Grundlage für eine Art globales, universelles Grundeinkommen schaffen. Wir erklären, wie das funktionieren soll, was ein deutscher Physiker damit zu tun hat und welche Kritik es gibt.

Worldcoin – wer steckt dahinter?

Worldcoin wurde neben Sam Altman von Max Novendstern und Alex Blania gegründet. Die Stiftung ist auf den krypto- und steuerfreundlichen Cayman Islands registriert. Nur aus regulatorischen Gründen, wie es heißt, denn eigentlich sei die Schweiz die erste Wahl gewesen. Die technische Entwicklung übernimmt die Tools for Humanity GmbH (TFH), die in Erlangen ihren Sitz hat, aber primär von Berlin aus arbeitet. CEO ist der deutsche Physiker und Wirtschaftsingenieur Alex Blania.

Alex Blania hat in Erlangen studiert. Vor seiner geplanten Promotion am Caltech in Kalifornien kam er mit Sam Altman in Kontakt, der ihm Idee für Worldcoin vorstellte. Blania ließ den Doktortitel erst einmal sausen und schloss sich Altman an. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte Blania allerdings wenig später nicht mehr in die USA einreisen und entschied, TFH in Deutschland aufzubauen. Wie er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche (WiWo) sagt, habe Tools for Humanity inzwischen 160 Mitarbeitende.

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World ID – eine persönliche digitale Identität

Ein zentraler Bestandteil von Worldcoin ist die World ID, ein "neues dezentrales Identitätsprotokoll, bei dem der Datenschutz an erster Stelle steht", wie es auf der Website heißt. Die World ID ist zunächst vergleichbar mit Nutzerkonten in anderen Apps, aber mit einem wichtigen Unterschied: Um auf alle Funktionen zugreifen zu können, ist ein einmaliger Scan der Iris notwendig (dazu gleich mehr). Erst dadurch wird sichergestellt, dass es sich um eine individuelle, menschliche Person handelt. 

Die World App, in der sowohl die World ID steckt als auch eine Krypto-Wallet © Worldcoin

Wie Worldcoin betont, speichert das Projekt keine persönlichen Daten. Die Angabe von E-Mail-Adressen und Telefonnummern in der App sind freiwillig (auch wenn das für spätere Back-ups oder zur Verknüpfung mit anderen Nutzern benötigt wird). Generell liegen alle Daten verschlüsselt auf dem jeweiligen Smartphone und werden nicht an Server des Unternehmens übertragen. Für Worldcoin soll es nicht möglich sein, von der World ID auf die tatsächliche Identität einer Nutzerin zu schließen.

Die World ID ist vereinfacht gesagt eine kryptografische Repräsentation eines Menschen, aber nicht von dessen Identität. Worldcoin spricht stattdessen von proof-of-personhood, also einem "Beweis der Persönlichkeit", und betont, dass es nicht darum geht, ein digitales Ausweisdokument zu schaffen. "Wir lösen das Problem, nachzuweisen, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelt", sagt Alex Blania gegenüber der WiWo. Dieser Nachweis werde im Zeitalter von KI-Anwendungen immer wichtiger. Nämlich dann, wenn sich KI-Akteure wie Chatbots nicht mehr von Menschen unterscheiden lassen.

Ein Anwendungsfall für die World ID wäre der Login oder die Registrierung bei Onlinediensten. Soziale Netzwerke wie Twitter oder Onlineshops wie Amazon kämpfen seit jeher mit Bots, also automatisch erstellten Accounts, die das Netzwerk fluten und Desinformation streuen oder falsche Bewertungen verfassen. Wenn die Anmeldung an die Bestätigung einer World ID geknüpft ist, ist das nicht mehr möglich. Um trotzdem Pseudonymität und die Erstellung von Zweitkonten zu ermöglichen, könnten die Betreiber eines Dienstes erlauben, mehrere Konten mit einer ID zu erstellen. Ende Juni gab mit Okta eines der weltweit führenden Authentifzierungsunternehmen bekannt, Worldcoin als Log-in-Option zu unterstützen.

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The Orb – Augenscan mit Dystopiefaktor

Um wirklich sicherzustellen, dass es sich bei einem Nutzer um einen Menschen handelt, erfordert Worldcoin einen biometrischen Scan der Iris. Laut Alex Blania habe man sich für diese Form der biometrischen Erkennung entschieden, da sie bei vielen Hunderten Millionen oder gar Milliarden Nutzerinnen und Nutzern zuverlässiger sei als Fingerabdrücke oder Gesichtserkennung.

Den passenden Scanner, den Orb, hat Tools for Humanity selbst entwickelt. Dabei handelt es sich um ein etwa volleyballgroßes, tragbares Gerät, in dem neben der Optik auch die Recheneinheit steckt, die die Aufnahmen bearbeitet, daraus einen Iris-Code erstellt, diesen kryptografisch signiert und anschließend mit der World ID der gescannten Person verknüpft. Die Aufnahmen der Iris werden unmittelbar nach der Erstellung direkt auf dem Orb gelöscht, heißt es. Es sei denn, man möchte sie in verschlüsselter Form für spätere Fälle speichern.

Der von Worldcoin entwickelte Iris-Scanner heißt The Orb. © Worldcoin

Die Menschen physisch mit dem Orb zusammenzubringen, ist die größte Herausforderung für Worldcoin. Derzeit sind nämlich weniger als 1.500 Geräte im Einsatz. Seit zwei Jahren läuft die Testphase, vor allem in afrikanischen und asiatischen Ländern, aber auch in Spanien. Seit 2021 haben rund zwei Millionen Menschen eine World ID erstellt. Mit dem offiziellen Start soll das Tempo nun anziehen und die Infrastruktur ausgebaut werden. In Deutschland gibt derzeit einen Orb-Standort – im Einkaufszentrum Alexa in Berlin können sich Interessenten bereits den Augapfel scannen lassen.

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Worldcoin-Token – Krypto trifft Grundeinkommen

Neben der Authentifizierung per World ID ist der Zugriff auf Kryptowährungen das zweite große Feature von Worldcoin. Die World App enthält nämlich auch eine Krypto-Wallet, was bedeutet, dass man sie verwenden kann, um Kryptowährungen zu kaufen und an andere Nutzer gebührenfrei zu überweisen. Bislang unterstützt die World App Bitcoin und Ethereum, weitere Digitalwährungen sollen folgen. Um diese innerhalb der App zu kaufen, muss man allerdings erst Geld von einem Konto oder einer Bankkarte in digitale USD Coin umwandeln.

Um mit dem Worldcoin-Token WLD handeln zu können, ist zusätzlich die Verifizierung per Iris-Scan erforderlich. Nur dann erhalten die Nutzerinnen und Nutzer auch eine Art Willkommensgeschenk in Höhe von 25 WLD, die zum jetzigen Zeitpunkt knapp unter 50 Euro wert sind. Wer noch keinen Zugang zu einem Orb hat, kann sich dieses "Startguthaben" ein Jahr lang reservieren. In Zukunft werden zudem regelmäßig neue WLD-Token an die verifizierten Nutzerinnen ausgeschüttet, deren Wert an den Kurs der Währung angepasst ist.

In den kommenden 15 Jahren sollen somit 75 Prozent aller nach und nach geschürften WLD an die Community ausgezahlt werden – "einfach, weil es sich um einzigartige Menschen handelt". Die restlichen 25 Prozent teilen sich auf die Investoren des Projekts, die Entwickler von Tools for Humanity sowie für eine Reserve auf.

Worldcoin will also salopp gesagt Geld verschenken, wobei man einerseits die Volatilität von Kryptowährungen beachten muss. Allein zwischen Montag und Dienstag sank der Wert von WLD von 2,90 US-Dollar auf 2,00 US-Dollar. "Auch der Worldcoin-Token wird in seinem Wert verschiedenen Faktoren unterliegen, die keine Gruppe kontrollieren kann – inklusive uns", sagt die Worldcoin-Market-Managerin Friederike Lumbroso-Baumgartner im Gespräch mit Golem.de.

Andererseits gilt: Eine potenzielle Auszahlung von umgerechnet 50 Euro mag hierzulande nicht viel sein. In ärmeren Ländern dagegen schon. Überhaupt will Worldcoin vor allem jenen Menschen "Zugang zum globalen Wirtschaftssystem ermöglichen", denen das bislang nicht möglich war. So wurde auch die World App so entwickelt, dass sie möglichst klein ist, auch auf älteren Smartphones läuft und nur wenige mobile Daten erfordert.

Mithilfe der World ID und der Worldcoin-Token wolle man die Infrastruktur für das universelle Grundeinkommen aufbauen, sagt Gründer Sam Altman gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Das könne dazu beitragen, die Einkommensungleichheit zu bekämpfen, und Menschen auffangen, die durch die KI-Revolution ihren Job verlieren. Da nur echte Personen über die World ID verfügen können, könnte dies dazu genutzt werden, Betrug zu minimieren. Allerdings sagt Altman auch, dass die Umsetzung noch weit in der Zukunft liege und er nicht wisse, welche Instanz künftig die Geldleistungen verteilen könne.

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Die Kritik an Worldcoin

In der Kryptobranche gibt es viele Versprechen, um die Welt besser zu machen. Und ebenso viele Projekte, die scheitern. Facebooks Kryptowährung Diem/Libra etwa wurde mit viel Euphorie angekündigt und ging kläglich unter. Entsprechend kritisch werden auch die Bemühungen von Worldcoin gesehen.

Das fängt beim Datenschutz an. Edward Snowden etwa warnte schon vor zwei Jahren, dass es keine gute Idee sei, die Iris von möglicherweise Milliarden Menschen zu scannen. Selbst wenn die Aufnahmen gelöscht werden, existieren kryptografische Hashes, die potenziell missbraucht werden könnten.

Auch Ethereum-Gründer Vitalik Buterin, der den Ansatz von Worldcoin und dessen proof-of-personhood im Hinblick auf die Zukunft prinzipiell lobt, weist in einem Blogbeitrag auf Probleme hin. So sei bei den Orbs unklar, ob sie nicht eine mögliche Hintertür enthielten, mit denen möglicherweise doch Daten abgegriffen werden könnten. Smartphones, in denen die World ID gespeichert ist, könnten gehackt werden. Und es bestehe immer die Gefahr, dass Menschen gezwungen werden, ihre Iris zu scannen und dabei einen Schlüssel vorzuzeigen, der einer anderen Person gehört, schreibt Buterin.

Kritik gab es außerdem an der Akquise der ersten World IDs. Wie das Magazin MIT Technology Review Anfang April berichtet hatte, hatte Worldcoin in Ländern wie Indonesien, Sudan oder Chile externe Dienstleister mit Orbs ausgestattet, damit diese die Menschen vor Ort dazu bringen, eine World ID zu registrieren. Dabei sollen sie irreführendes Marketing betrieben und keine ausreichende Zustimmung eingeholt haben. Viele Nutzer hätten sich nur in der Hoffnung auf etwas Geld angemeldet, ohne zu verstehen, um was es wirklich geht. Im Sudan sollen Orb-Vertreter Airpods verlost haben, in Westjava die Scans als Krypto-Workshop getarnt haben. Ein Kritiker sprach Technology Review gegenüber von einem Kryptokolonialismus, bei dem "Blockchain- und Kryptowährungsexperimente gefährdeten Gemeinschaften aufgezwungen werden, weil diese sich nicht wehren können".

Im aktuellen Interview mit der WirtschaftsWoche sagt Worldcoin-CEO Alex Blania, dass das Unternehmen damals in einer "anderen Phase" gesteckt habe und man inzwischen "viel Fachwissen" gewonnen habe, wie man Fehler vermeidet. Dass man mit externen Vertretern vor Ort zusammenarbeitet, die die jeweilige Kultur verstehen, sei aber schon angesichts der geplanten Skalierung des Projekts unumgänglich.

Außerdem gibt es Kritik an der geplanten Verteilung der Kryptowährung und der Tatsache, dass rund 25 Prozent alle Token künftig an Investoren wie Risikokapitalfirmen aus dem Silicon Valley und die Gründer ausgeschüttet werden, obwohl es sich bei Worldcoin doch um ein vermeintlich egalitäres Projekt handelt. Laut Blania sei das unumgänglich, denn um ein solches Projekt aufzubauen, benötige man nun einmal Kapital und Investoren.

Ob sich das Investment lohnt oder ob Worldcoin den Weg zahlreicher anderer missglückter Kryptoexperimente geht, ist derzeit kaum abzuschätzen. Mit Sam Altman hat das Projekt immerhin einen Posterboy des neuen, durch KI getriebenen Silicon Valley mit an Bord. Doch ausgerechnet in Altmans Heimatland USA wird es Worldcoin wohl nicht so schnell geben. Die rechtlichen Unsicherheiten, die es im Zusammenhang mit digitalen Währungen gibt, seien derzeit zu groß.

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